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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Statt dessen hatte Odo es getan. Eiskalt, berechnend, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern hatte er sie seinem Ehrgeiz geopfert, seiner schier unstillbaren Gier nach Macht. Manchmal haßte Cædmon ihn so sehr, daß ihm ganz elend davon wurde. Ein Gefühl wie eine kalte Taubheit breitete sich dann in seinem Innern aus, das ihn vollkommen lähmte. An anderen Tagen war er überzeugt, daß Odo nur ein Werkzeug in Gottes unergründlichem Plan war und daß er, Cædmon, immer noch den Preis dafür bezahlte, daß er sich genommen hatte, was ihm nicht zustand.
    So oder so, ganz gleich, aus welchem Winkel er die Dinge betrachtete, jeder Gedanke endete in Verzweiflung. Aber dieses Mal ergab er sichihr nicht. Sie begleitete ihn Tag und Nacht, lauerte auf jeden Moment der Schwäche, um ihn zu überwältigen, aber noch leistete er Widerstand. Er aß und trank auch dann, wenn er keinen Appetit hatte. Er spielte die Laute, beschäftigte seine Gedanken, las in der englischen Bibel und den anderen Büchern, die sie ihm gebracht hatten, und vor allem ließ er nicht zu, daß sein Körper träge wurde. Das fensterlose Kellerloch, in das sie ihn gesperrt hatten, maß sieben Schritte. Von morgens bis er schätzte, daß Mittag war, ging er auf und ab, immer auf und ab, vielleicht tausend Mal. Nach ein paar Wochen hatte er gelernt, auf den Händen zu gehen. Anfangs schien es unmöglich, aber er hatte nicht aufgegeben und ließ sich nicht entmutigen, und die Herausforderung hatte ihn tagelang beschäftigt und beflügelt. Als er diese akrobatische Kunst schließlich beherrschte, legte er vielleicht ein Zehntel seines täglichen Marsches auf diese Weise zurück. Und er tat alles, um zu verhindern, daß er wieder krank wurde. Seine Wurfhand war so sicher wie eh und je, und keine Ratte, die sich in sein Quartier wagte, blieb lange am Leben. Er hatte schon so manchen hölzernen Trinkbecher bei der Rattenjagd zertrümmert, aber er bekam immer einen neuen.
    Und bei jeder Gelegenheit hatte er versucht zu entwischen. Doch die Gelegenheiten wurden spärlicher, denn die Wachen waren vorsichtig geworden. Sie drehten ihm nicht mehr den Rücken zu. Beim letzten Mal hatte er einem von ihnen die Nase eingeschlagen und war fast bis zum oberen Ende der Treppe gekommen, ehe sie ihn einholten. Seither kamen sie meist zu zweit, und Odo ließ ihm ausrichten, daß beim nächsten Fluchtversuch mit allen Vergünstigungen Schluß sei. Das war die einzige Nachricht, die er von Odo gehört hatte. Ansonsten zeigte der Bischof wenig Interesse an Cædmon, ließ sich vor allem niemals blicken. Er war jetzt auch öfter für längere Zeit abwesend, hatte der junge Engländer Cædmon erzählt. Vermutlich, um seine wachsende Armee auf der Isle of Wight zu inspizieren, dachte Cædmon. Oder vielleicht auch in Helmsby, um Aliesa Trost zu spenden und vielleicht doch noch Einlaß in ihr Bett zu finden. Und wenn er das dachte, wollte er alles kurz und klein schlagen und mit den blanken Fäusten auf die schwere Eichentür losgehen. Statt dessen lief er auf den Händen, bis seine Arme zu zittern begannen und seine Ellbogen schließlich einknickten und er keuchend und schwitzend und völlig ausgepumpt auf dem kalten, festgestampften Boden lag.
    Ein Tag hier unten war wie vierzig, vierzig Tage wie einer. Als die Wache ihm eines Abends Lammbraten, frisches, weiches Weizenbrot und Speckpfannkuchen brachte, starrte er verwundert darauf.
    »Du meine Güte … Soll das heißen, wir haben schon Ostern?« fragte er ungläubig.
    Der Mann nickte, lehnte die Tür an und stellte das Tablett mit den verführerisch duftenden Speisen auf einen Schemel. Dann stand er mit herabbaumelnden Armen da und sah unverwandt auf Cædmon hinab. »Was starrst du mich so an? Wer bist du überhaupt? Neu hier, was? Bist du gekommen, um den größten Toren unter der Sonne zu begaffen, einen englischen Thane, der glaubte, er könne sich gegen die Willkür des mächtigen Earl of Kent zur Wehr setzen?«
    Der Wachsoldat räusperte sich, riß sich den Helm vom Kopf und sank auf die Knie. »Thane …«
    Cædmon sprang auf die Füße, unterdrückte mit Mühe einen Ausruf des Erstaunens und flüsterte statt dessen: »Odric …«
    »Es ist alles meine Schuld, Thane. Das … das hab ich wirklich nicht gewollt. Wenn ich geahnt hätte …«
    Mit einem Schritt hatte Cædmon ihn erreicht, packte ihn am Arm und zog ihn auf die Füße. »Bist du verrückt, Mann, steh auf.« Er schloß seinen Housecarl in die Arme, kniff die Augen

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