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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Dinge.«
    Es war einen Moment still, ehe Cædmon fragte: »Wie alt bist du?« Erik hob langsam die Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber noch keine vierzig, glaub’ ich.«
    »Und … hast du viel verloren? Im Feuer?«
    Unverändert weiße Zähne blitzten auf, als das Piratengrinsen sich zeigte. »Nein. Ich habe alles retten können, was wirklich von Wert ist. Hast du die Karren gesehen, die ich mitgebracht habe?«
    Cædmon nickte. Der eine hatte die Kinder und ein paar verheißungsvoll klimpernde Beutel und persönliche Habseligkeiten enthalten. Der andere war hoch mit Rinderhäuten beladen.
    »Aber wenn es eine Ware derzeit im Überfluß gibt in England, dann ist es Rindsleder«, bemerkte er. »Schließlich ist beinah jede Kuh im Land verreckt.«
    »Die Tierhäute sind nur Tarnung. Darunter sind Weizensäcke.«
    Cædmon erstarrte. »Weizen?«
    Erik warf ihm einen kurzen Blick zu und nickte. »Ich hab ihn letztes Jahr gekauft, weil ich eine neue Grönlandfahrt geplant hatte. Aber dann wurde es immer schlimmer mit der Gicht, und ich mußte einsehen, daß ich mein Vorhaben nicht mehr durchführen kann. Dann … kam die Mißernte, und die Kornpreise schnellten in die Höhe. Aber ich konnte nicht.« Er lachte verschämt. »Es kam mir so schäbig vor, mit dem Hunger und der Not Geld zu machen. Also habe ich meinen Weizen nicht verkauft.« Er hob den Kopf und sah Cædmon direkt an. »Nimm ihn. Als Dank dafür, daß du uns aufnimmst, daß du meine Frau und meine Kinder immer hier willkommen geheißen hast, wenn ich fort war, immer gegen den Willen deiner Mutter.« Er unterbrach sichkurz, ehe er brüsk knurrte: »Verflucht, Cædmon, zier dich nicht. Niemand in Helmsby muß mehr hungern, es sei denn, du opferst die Leute deinem Stolz. Ich kann diesen Weizen einfach nicht verkaufen, es wäre falsch. Also tu mir den Gefallen und nimm ihn.«
    Cædmon lächelte befreit. »Meinetwegen. Wenn dir soviel daran liegt …« Sie lachten. So laut, daß manch hungriger Mann in der Halle erschrocken aus wirren Träumen auffuhr und Zeuge wurde, wie der Thane und der berüchtigte dänische Pirat, der sein Schwager war, sich lachend in die Arme sanken.
     
    Der bitterkalte Hungerwinter forderte im ganzen Land hohen Tribut. Die Priester mahnten das Volk zur Umkehr. Gott sei im Zorn über England gekommen, um die Menschen Demut und Frömmigkeit zu lehren, und nur durch Abkehr von Laster und Sünde und Hinwendung zur Rechtschaffenheit könne er besänftigt werden.
    Cædmon glaubte nicht, daß er und die Seinen rechtschaffener oder weniger lasterhaft waren als die Leute der nächsten Hundertschaft, aber in Helmsby hatte die Not ein Ende, und sein Onkel war das einzige Opfer der Fieberepidemie, das es in seiner Familie zu beklagen gab. Athelstan starb, nachdem Bruder Oswald ihm die Letzte Ölung erteilt und Alfred ihm den letzten Becher Met eingeflößt hatte, den sie noch besaßen, am selben Tag, als Aliesa zum erstenmal aufstehen konnte und Matildas Fieber endlich zu sinken begann.
    Jeder in der Halle und im Dorf betrauerte Onkel Athelstans Hinscheiden, vor allem natürlich sein Sohn, doch Alfred selbst war es, der bei der Totenfeier aussprach, was alle dachten: Athelstan of Helmsby war nicht gestorben, ohne sich seinen großen Lebenstraum erfüllt zu haben; er hatte das letzte Faß bis auf den letzten Tropfen geleert.
    Hyld brachte Aliesa und Irmingard bei, wie man mit Schneepackungen und Wadenwickeln das Fieber bekämpfen konnte, und die drei Frauen waren von früh bis spät unterwegs und kümmerten sich um die Kranken. Nachdem der Hunger ein Ende hatte, hatte sich auch die Epidemie bald ausgetobt. Helen, die alte Köchin, war eins der ersten Fieberopfer geworden, und Gytha übernahm vorläufig ihr Amt. Umsichtig teilte sie die neuen Vorräte ein, und Cædmon borgte Geld von Erik und kaufte Lucien de Ponthieu, dem reichsten seiner Nachbarn, ein paar Fässer Pökelfleisch ab. Früh im Jahr setzte die Schneeschmelze ein, und sie erlebten einen ungewöhnlich milden März.
    »Ich denke, das Schlimmste haben wir hinter uns«, sagte Cædmon. Er stand am Fenster, spürte die laue Frühlingsbrise auf den Wangen und reckte sich in der warmen Morgensonne.
    Aliesa strich mit zwei Fingern über seine rechte Schläfe, wo über den Winter die ersten silbrigen Strähnen aufgetaucht waren. Wegen seiner blonden Haare fiel es kaum auf; man sah es nur, wenn das Licht in einem bestimmten Winkel darauf fiel. Aber sie hatte es gleich bemerkt. »Und wir haben sogar

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