Das zweite Königreich
nicht gehört?«
»Was?«
»London ist abgebrannt, Cædmon.«
Es dauerte ein Weilchen, bis er Näheres erfuhr. Erst brachte er Hyld, die Matilda in den Armen hielt, zu Aliesa. Seine Schwester versprach, sich um Mutter und Tochter zu kümmern. Hyld hatte längst nicht alle Geheimnisse der Heilkunst von ihrer Mutter gelernt, aber in den Jahren ihrer Kindheit, da sie Marie auf Krankenbesuchen begleitet hatte und ihr zur Hand gegangen war, hatte sie unweigerlich allerhand Wissenswertes erfahren. Auch in London hatte die Fieberepidemie gewütet, und sie hatte die Kranken in der Nachbarschaft versorgt. So reichte ein kurzer Blick auf Aliesa, um Cædmon zu beruhigen: Seine Frau würde durchkommen. Zu Matildas Chancen wagte sie sich nicht zu äußern, es war noch zu früh. Aber sie gab sich hoffnungsvoll.
Cædmon weckte Irmingard, die ihren Bruder selig in die Arme schloß und ihm den Weg zu Eadwigs leerer Kammer wies. Die sechsjährige Emma und ihr vierjähriger Bruder Knut waren auf einem der beiden Karren eingeschlafen, die sie von London hergebracht hatten. Nachdem die Kinder zu Bett gebracht worden waren, setzten Cædmon und Erik sich an den Tisch in der Halle und redeten.
»Bist du durstig?« fragte Cædmon gedämpft. Entlang der Wände lagenreglose, schlafende Gestalten. »Ich fürchte, ein Becher Wasser ist alles, was wir zu bieten haben.«
Erik hob abwehrend die Hand, und auf Cædmons Bitte hin berichtete er von dem Feuer, das die große Handelsstadt an der Themse fast vollständig zerstört hatte. »Es heißt, es sei in der Nähe von St. Paul ausgebrochen. Niemand weiß es genau. Es spielt auch keine Rolle. Die Stadt liegt in Schutt und Asche. Es sieht beinah so aus, als wären die Dänen eingefallen«, bemerkte er nicht ohne Ironie. »Trockene Kälte birgt größere Feuergefahr als ein heißer Sommer, sagt man, weil die Leute versucht sind, an den unmöglichsten Orten ein Feuer anzuzünden, um sich zu wärmen. Warst du jemals in London, Cædmon?«
Der Thane nickte. »O ja. Ich habe für den König oft Botschaften in die Stadt gebracht. Außerdem war ich mit Beatrice Baynard verlobt. Ihre Familie lebt in London, und hin und wieder scheuchte der König mich hin, um sie zu besuchen.«
»Dann weißt du, wie dichtgedrängt die Häuser dort standen. Und alle aus Holz. Das Feuer raste einfach von Dach zu Dach … Es war furchtbar. Panik, Plünderungen, was du dir nur denken kannst. Ralph Baynards steinerne Festung und der Tower sind beinah die einzigen Gebäude, die noch stehen. Als wir sahen, daß auch unser Viertel am Hafen nicht verschont bleiben würde, haben wir auf zwei Wagen geladen, was uns sinnvoll erschien, und mit den Karren im Hof gewartet. Unser Hof war groß, eine Freifläche, verstehst du: Sicherheit. Aber es ist erschütternd, dein Haus um dich herum abbrennen zu sehen, das kannst du mir glauben.« Cædmon nickte wortlos. Er hatte Kopfschmerzen und verspürte einen leichten Schwindel. Er wußte nicht genau, wie viele Tage es her war, daß er zuletzt etwas gegessen hatte. Vier oder fünf, schätzte er. Er war erschöpft und am Ende seiner Weisheit, aber Eriks Bericht faszinierte ihn auf eine seltsame, kranke Art. Es war merkwürdig tröstlich, von den Schicksalsschlägen zu hören, die andere getroffen hatten.
»Gab es viele Tote?«
»Hunderte. Etliche sind in ihrer Angst in den Fluß gesprungen und ertrunken. Viele sind verbrannt. Und es gab einen Moment in unserem Hof, wo ich dachte, es würde uns auch erwischen.«
Cædmon atmete tief durch. »Welch ein Glück, daß du zu Hause warst. Es hätte ebensogut passieren können, während du auf See bist.«
Erik lächelte ein wenig wehmütig und schüttelte den Kopf. »Ich fahre nicht mehr zur See, Cædmon. Die Zeiten sind endgültig vorbei.«
»Aber … wieso?«
»Ich leide an Gicht. Es kommt von einer Stunde zur nächsten. Plötzlich bin ich ein Krüppel.« Er lachte leise, hob den Kopf und sah Cædmon in die Augen. »Eine gerechte Strafe, denkst du nicht?«
Cædmon schüttelte den Kopf. »Nein. Du schuldest mir schon lange nichts mehr.«
»Tja.« Erik strich sich verlegen über den Bart. »Wie auch immer. Ich kann nicht mehr hinausfahren, und zumindest Hyld ist glücklich darüber. Aber ich will mich nicht beklagen. Ich habe immer noch meine drei Schiffe. Meine Söhne, Harold und Guthrum, fahren jetzt unter meinen Kapitänen, aber eines Tages werden sie das Kommando führen. Ich schätze, es ist richtig so. Das ist der Lauf der
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