Das zweite Königreich
Kopf und schluchzte. »Ich … Kommt mit. Bitte!«
Von bösen Vorahnungen erfüllt, folgte er ihr zu der kleinen Kammer, die die Amme und die drei Kinder bewohnten. Das Mädchen führte ihn zu dem Bett, das Matilda und Richard teilten, und wies stumm darauf.
Cædmon beugte sich darüber. Richard schlief ruhig und friedlich. Aber Matilda hatte ihre Decke weggestrampelt, warf sich rastlos auf den Rücken und starrte mit glasigen Augen zu ihm auf.
»Vater … mir ist so heiß. Und mein Kopf tut so weh.«
Ein so gewaltiger Schrei des Protests braute sich in Cædmons Brust zusammen, daß er einen Augenblick nicht sicher war, ob er ihn niederringen konnte. Er biß sich die Zunge blutig und hob das kleine Mädchen auf. Fast meinte er, ihre Haut müsse ihn versengen. Sie brannte. »Ich hab geträumt«, murmelte sie.
Cædmon fühlte erst ihre Stirn, dann legte er die Hand auf ihre magere Brust. Ihr Herz raste wie wild.
»Ich nehme sie mit«, flüsterte er der Amme zu. »Leg dich schlafen, Annot.« Und Matilda fragte er: »War es ein böser Traum, Engel?«
»Ich weiß nicht. Von einem Schiff. Ein weißes Schiff. Es war wunderschön. Aber es hat mir angst gemacht … es war ein Todesschiff …«Ein eisiger Schauer überlief ihn. Er wußte genau, daß er das schon einmal gehört hatte, auch wenn er sich nicht entsinnen konnte, wann und wo. Er küßte die glühend heiße Stirn. »Hab keine Angst mehr. Alles ist gut.« »Bleibst du bei mir heute nacht?«
»Ja.«
Sie schlief ein, aber nicht beruhigt, es war eher, als gleite sie tiefer in die Fieberwelt hinab und sei ihm plötzlich fern und entrückt.
Er brachte sie zu Aliesa, legte sie aber nicht zu ihr, sondern hüllte sie in eine warme Decke und hielt sie auf dem Schoß, versuchte sie mit seiner Nähe durch den Nebel des Fiebers zu erreichen. Doch Matilda schien immer tiefer zu sinken, und er spürte, daß sie immer heißer wurde. Ihr kleines Gesicht war gerötet und feucht, die blonden, wirren Locken klebten an ihrem Kopf. Nach gut einer Stunde fiel sie in einen Fieberkrampf, und Cædmon preßte den Unterarm vor den Mund, um nicht zu heulen wie ein waidwundes Tier.
Er hörte, wie die Tür sich öffnete, und sagte, ohne aufzusehen: »Holt Bruder Oswald her.« Dann spürte er plötzlich kühle Hände, die ihm sein Kind aus den Armen nehmen wollten, riß die Augen auf und drückte den kleinen Körper behutsam an sich. »Nein …«
»Cædmon, ich bin’s.«
Er blinzelte. »Hyld?«
»Gib sie mir. Schnell. Jede Minute zählt.«
Ohne zu zögern legte er sein Kind seiner Schwester in die Arme, vergewisserte sich mit einem schnellen Blick, daß Aliesa nach wie vor schlief, und folgte Hyld auf den Flur hinaus und zur Treppe.
»Was tust du? Wo bringst du sie hin?«
Sie antwortete nicht, durchquerte mit eiligen Schritten die Halle und sagte: »Erik, halt mir die Tür auf.«
Ihr Mann, der ein bißchen verloren in der nächtlichen Halle stand, kam der Aufforderung nach und folgte ihr gemeinsam mit Cædmon in die eisige, sternklare Nacht hinaus. Hyld lief behende die Stufen hinab, ließ sich an deren Fuß auf die Knie fallen, streifte Matildas Hemd hoch und legte das Kind in den Schnee.
Erschrocken schrie Matilda auf.
»Hyld, bist du besessen, was tust du da …« Cædmon wollte einschreiten, aber eine Pranke umfaßte sein Handgelenk und hielt ihn zurück. »Laß sie«, riet Erik eindringlich. »Unseren Jüngsten hat sie so auch durchgekriegt. Sie weiß, was sie tut.«
Cædmon versuchte nicht länger, sich loszureißen. Er wandte den Kopf ab, damit sein Schwager nicht sah, daß er weinte, und blickte immer noch ein wenig entsetzt auf seine Schwester hinab, die sein armes, krankes Kind mit Schnee zudeckte. Matilda wimmerte leise.
Plötzlich überkam Cædmon eine so bleierne Erschöpfung, daß er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er sank auf die unterste Treppenstufe, ohne sich um den verharschten Schnee zu scheren, der sie bedeckte, und fragte: »Wie in aller Welt kommt ihr hierher? Was tut ihr hier?«
»Wir klopfen an dein Tor und erbitten Obdach, Schwager«, antwortete Erik ernst. »Hyld, unsere Emma, unser kleiner Knut und ich.«
»Dann seid willkommen. Nur die Küche hat hier in jüngster Zeit ein wenig nachgelassen. Wenn du Lust hast, kannst du morgen mit mir auf einen Wildererzug reiten, das ist doch sicher nach deinem Geschmack …« Er merkte, daß er dummes Zeug redete, verstummte abrupt und fragte dann: »Was ist passiert?«
»Ja, habt ihr es denn
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