Das zweite Königreich
antwortete der Prinz. »Die Stadt ist eine hervorragende Basis für einen Marsch auf Paris.«
»So ist es. Von Mantes nach Paris sind es nur dreißig Meilen flußaufwärts. Warum nicht?« Er stützte die Hände auf die Armlehnen und beugte sich leicht vor. » Warum nicht ? Philip von Frankreich ist seit Jahren der großzügige Gönner all meiner Feinde, hat die Bretagne, Flandern, das Anjou und Schottland und nicht zuletzt meinen eigenen Sohn gegen mich aufgehetzt. Meine Armee kann in einer Stunde marschieren. Nennt mir einen einzigen Grund, warum ich es nicht tun sollte.«
Der Erzbischof von Rouen kam der Aufforderung nach. »Philip ist der König von Frankreich.«
William fegte den Einwand brüsk beiseite. »Dann soll er seine Krone mit dem Schwert verteidigen. Wenn er kann.« Er stand unvermittelt auf. »Macht Euch bereit, Monseigneurs, wir rücken morgen bei Sonnenaufgang aus und tragen Feuer und Verderben ins Vexin. Philip soll erzittern auf seinem Thron, denn dieses Mal kommt William von der Normandie wirklich, um ihn zu holen.«
Mantes, Juli 1087
Cædmon hatte an König Williams Seite in vielen Schlachten gekämpft und viele Städte und Dörfer fallen sehen. Er wußte, was eine Armee anrichten konnte, wenn sie erst aufgestachelt und enthemmt und dann losgelassen wurde. Aber was er an diesen brütend heißen Julitagen im Vexin erlebte, stellte alles in den Schatten.
Brennend und mordend zogen Williams Truppen die Seine hinauf, zündetendas Korn auf den Feldern an und verwüsteten jedes Dorf, durch das sie kamen. Eine Vorhut von knapp fünfhundert handverlesenen Rittern zog schließlich vor die Tore von Mantes und forderte die französische Garnison zum Kampf.
Deren Befehlshaber fielen prompt auf die Finte herein und führten ihre kleine Besatzungsarmee ins Verderben. Kaum hatten sie die sicheren Mauern der Stadt verlassen und Aufstellung zum Kampf genommen, da fielen Williams Horden über sie her, metzelten sie nieder und stürmten die Stadt.
Williams Befehl, Kirchen und Klöster zu schonen, verhallte ungehört. Sie wurden genauso geplündert und in Brand gesteckt wie die Häuser der unglücklichen Bewohner der Stadt. Menschen verbrannten und wurden abgeschlachtet, Mädchen und Frauen jeden Alters vergewaltigt, Schreie, Waffenklirren und das Tosen des Feuers stiegen zum Himmel auf und der Gestank von brennendem Holz, Nässe und Fäulnis. Als es Nachmittag wurde, war die Stadt dem Erdboden gleich. Schwer beladen mit Fässern und Säcken voller Beute strömten die Soldaten zum Tor hinaus, manche hatten gar einen Karren organisiert. Cædmon saß an Williams Seite auf dem Rücken seines Pferdes und beobachtete diesen grausigen Exodus. Ein Karren, hoch beladen mit Tierhäuten, Fellen und zwei leblosen Frauengestalten, der von zwei weinenden, halbwüchsigen Jungen gezogen wurde, fuhr kaum zehn Schritte vor ihnen vorbei. Ein halbes Dutzend englischer Söldner trieb die Knaben mit Tritten, Schlägen und unter lautem Gejohle an. Staub wirbelte auf und wurde in einer dichten Fahne zu ihnen herübergeweht. Frison tänzelte nervös. Cædmon nahm die Zügel kürzer und rieb sich das Kinn an der Schulter.
Der König, der seit geraumer Zeit mit dieser vollkommen ausdruckslosen Miene, die Cædmon so unheimlich fand, durch das weit geöffnete Stadttor gestarrt hatte, wandte plötzlich den Kopf und sah ihn an.
»Eure Männer?«
»Nein.« Aber seine Housecarls waren genau wie jeder andere Soldat in der Stadt eingefallen, und er dachte, daß er lieber nicht wissen wollte, was sie getrieben hatten. Odric, Elfhelm, Gorm, sie alle waren treue Seelen und anständige Männer, aber eine gefallene Stadt konnte selbst die Besonnensten in einen gefährlichen Rausch versetzen.
»Die Kommandanten sollen bekanntmachen, daß bis morgen früh jeder Gelegenheit hat, Reliquien, Kelche und anderes Kircheneigentumzurückzugeben. Nach dem Morgenappell wird die Beute durchsucht, und wer dann noch im Besitz solcher Gegenstände ist, wird geblendet und verliert eine Hand.«
Cædmon nickte. »Ja, Sire.«
»Und jetzt seid so gut und begleitet mich in die Stadt. Ich denke, wir können es wagen. Alles ist still.«
Um nicht zu sagen totenstill, dachte Cædmon, winkte den Männern der Leibgarde, ihnen zu folgen, und ritt an der Seite des Königs durchs Tor und zwischen den schwelenden, verkohlten Gerippen der Häuser hindurch die einstmals belebten Straßen von Mantes entlang.
In der Nähe des Tores verstopften die Leiber der toten
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