Das zweite Königreich
sind seine Ärzte?« fragte der Bischof. »Sie müssen doch irgend etwas tun können.«
»Der Bischof von Lisieux und der Abt von Jumièges.«
»Zwei vielgerühmte Heiler«, bemerkte Guillaume.
Cædmon führte ihn durch den stillen, schattigen Kreuzgang. Ihre Schritte hallten leise auf den ausgetretenen Steinfliesen. »Sicherlich. Aber in diesem Fall sind sie völlig machtlos.«
Er hatte dafür plädiert, Malachias ben Levi aus Winchester zu holen, aber die frommen Ärzte hatten den Vorschlag entrüstet abgelehnt. Im Grunde war es auch gleich. Cædmon wußte, daß auch Malachias nichts mehr hätte tun können. Der Leib des Königs war innerlich zerrissen und heilte nicht mehr. Nur die Schmerzen hätte der jüdische Arzt mit seinen geheimnisvollen morgenländischen Pulvern vielleicht zu lindern gewußt. Doch seine Hände seien unrein, hatten Abt und Bischof erklärt, befleckt mit dem heiligen Blut Jesu Christi, und seine Pulver darüber hinaus vermutlich Teufelswerk. Auf keinen Fall dürfe der König dem jetzt noch ausgesetzt werden. Cædmon hatte sie wütend gefragt, welches Gewicht diese theologischen Erwägungen wohl hätten, wenn es einer der frommen Männer selbst wäre, der die Schmerzen aushalten müßte, aber alles, was er erreicht hatte, war, die Ärzte zu beleidigen.
Er brachte den Erzbischof zu der Pforte des Hauses, das gewöhnlich der Prior bewohnte, und murmelte: »Ihr dürft nicht erschrecken, Monseigneur. Er sieht … sehr verändert aus. Aber sein Geist ist völlig klar; er merkt, wenn man ihn mitleidig oder entsetzt anschaut. Und beides kränkt ihn.«
Der Erzbischof nickte und wappnete sich.
Cædmons Warnung war durchaus angebracht gewesen. Obwohl der Leib des Königs unter der Decke immer noch groß und unförmig wirkte, war sein Gesicht eingefallen. Der Schmerz hatte tiefe Furchen in Stirn und Wangen gegraben, die schwarzen Augen waren trüb und gelblich verfärbt. Auch die fahle Haut schien einen leichten Gelbton angenommen zu haben, und das eisgraue Haar war dünn wie Spinnweben geworden. William war neunundfünfzig Jahre alt. Bis vor sechs Wochen hatte er ausgesehen wie ein Mann in der Blüte seiner Jahre. Jetzt war er ein todkranker Greis.
Als er den Besucher eintreten sah, verzogen sich die rissigen, blutleeren Lippen zu einem Lächeln. »Guillaume Bonne-Ame, mein alter Freund …«
Der Erzbischof ergriff die faltige Hand, die sich ihm entgegenstreckte. »Gott sei mit dir, William.«
»Er ist mit mir. Er war immer mit mir. Ihm verdanke ich alles, was ich hatte. Er war immer mein Verbündeter, meine größte Kraft.«
Cædmon brachte dem Bischof einen Schemel, und Guillaume ließ sich ächzend darauf nieder, ohne die Hand des Königs loszulassen. »Ja, ich weiß. Und du hast mich rufen lassen, um deinen Frieden mit ihm zu machen?«
Der König nickte, kniff die Augen zu und ballte die freie Hand zur Faust. Sein Gesicht verzerrte sich, und sein Atem ging in ein mühsames Keuchen über.
»Schnell, Thane, holt die Ärzte«, murmelte der Erzbischof erschüttert. »Sie können nichts tun, Monseigneur«, wiederholte Cædmon leise. »Wartet ein Weilchen. Es vergeht.«
Aber es dauerte lange, ehe es verging. Cædmon kam es so vor, als währte es von Mal zu Mal länger. Er versuchte, kein Mitleid zu haben. Er dachte an seinen Vater, den alten Wulfric, die Opfer der Todesreiter in Northumbria und an all die geblendeten, verstümmelten Engländer. Aber es nützte nichts. Er empfand trotzdem Mitgefühl für den König. Er konnte einfach nicht anders.
Schließlich ebbten die Schmerzen ab, und William stieß zittrig die Luft aus. »Ich habe viel zu beichten, Guillaume. Ich denke, es wird Zeit.« »Ich höre dir zu«, versprach der Bischof.
Cædmon ging zur Tür. »Ruft mich, wenn Ihr mich braucht, ich bin gleich vor der Tür.«
»Cædmon, habt Ihr getan, worum ich Euch gebeten habe?« fragte William.
»Natürlich, Sire. Sie sind alle benachrichtigt. Sie können jeden Moment kommen.«
Und sie kamen. Rufus und Henry und des Königs Halbbruder Robert de Mortain, Vasallen und Weggefährten aus der Normandie und aus England; Cædmon hatte nach allen geschickt, die dem König nahegestanden hatten. Auch nach Lucien.
Nach und nach fanden sie sich in dem kleinen Kloster außerhalb der Stadtmauern von Rouen ein, versammelten sich im sonnenbeschienenen Innenhof vor dem Haus des Priors und warteten, daß sie hereingerufen wurden. Und nachdem der König gebeichtet und die Letzte Ölung empfangen
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