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Das zweite Leben

Das zweite Leben

Titel: Das zweite Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James White
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Gedanke war, daß die Roboter einen Fehler gemacht hatten oder die Tiefschlafsysteme fehlerhaft arbeiteten. Doch dann breitete sich Wärme in ihm aus, und er sah ein Licht, das heller wurde, bis die Augen zu schmerzen begannen. Als er wieder etwas erkennen konnte, sah er die Schwester.
    »Versuchen Sie nicht, sich zu bewegen, Mr. Ross«, sagte sie energisch. »Nach einer halbstündigen Massage können Sie die ersten Gehversuche wagen. Sind Sie bereit?«
    Was 5B als »Massage« bezeichnete, war für Ross schlimmer als alle Qualen der Hölle. Er biß die Zähne zusammen, bis diese schlimmste und längste halbe Stunde seines Lebens vorbei war und die Schwester ihn vorsichtig in eine sitzende Position aufrichtete. Als er Atem genug hatte, um zu sprechen, fragte er:
    »Was ist geschehen? Wieso hast du mich …?«
    »Sie können aufstehen und einige Schritte gehen«, erklärte die Schwester, ohne auf die Frage einzugehen. Als Ross sicher auf den Beinen war, sagte sie: »Wir gehen nun an die Oberfläche, Sir.«
    »Sir!« fauchte Ross. »Jetzt gebe ich also wieder die Befehle. Und ich will als erstes eine Antwort! Was ist schiefgegangen? Weshalb hast du den Einfrierungsvorgang unterbrechen lassen? Habt ihr Nahrung gefunden?«
    »Ich habe den Prozeß nicht unterbrochen, Sir«, antwortete 5B ungewöhnlich leise. »Sie haben 43 000 Jahre lang geschlafen.«
    Ross starrte den Roboter an wie einen Geist. Er war unfähig, weitere Fragen zu stellen und ließ sich willenlos an die Oberfläche führen, wo ihn ein weiterer Schock erwartete.
     
12.
     
    Die Sonne stand klar und gelb an einem tiefblauen Himmel, und der Boden war von grünem Gras bedeckt. Fast zehn Kilometer entfernt erhoben sich die Berge, die Ross nicht mehr gesehen hatte, seit Dr. Pellew ihn einfror. Die Luft hatte einen völlig unbekannten, würzigen Geruch. Ross sog sie gierig ein, bis seine Lungen zu platzen drohten. Er schloß die Augen. Das Herz schlug wild wie nie zuvor in seiner Brust, als er sich langsam um 180 Grad drehte.
    Er sah das Meer. Das Blau des Wassers und das des Himmels wurde von einer weißen Linie am Horizont getrennt – Kumuluswolken. Die mächtigsten Sturzwellen, die Ross je gesehen hatte, brachen sich am weißen Strand, der sich nach beiden Seiten ins Unendliche zu erstrecken schien.
    Ross wischte sich mit bebender Hand die Tränen aus den Augen, obwohl ihm nie in seinem Leben weniger zum Weinen zumute gewesen war.
    »Es dauerte viel länger, als Sie erwartet hatten«, erklärte 5B, »denn das Gras, das unter künstlichem UV-Licht aus dem Nährboden in der Kuppel wuchs, mußte Schritt für Schritt an die Sonne geführt werden. Wir legten im Lauf der Zeit Beete außerhalb der Kuppel an und überspannten sie mit transparenten Planen. Auch hier mußten sie von starken Scheinwerfern bestrahlt werden, bis der Aschestaub in der Atmosphäre sich soweit gelichtet hatte, daß er auch jene Strahlen der Sonne durchließ, die pflanzliches Leben zu seiner Entfaltung braucht. Im Lauf der Zeit und infolge natürlicher Mutation entwickelte sich so eine Pflanzenspezies, die ungeschützt an der Erdoberfläche leben konnten. Währenddessen wurde die Asche völlig vom Meer absorbiert und das Sonnenlicht immer stärker. Das Gras vermehrte sich nun rasch und sorgte dafür, daß die noch am Boden haftende Asche in Humus verwandelt wurde, woraufhin eine noch schnellere Ausbreitung erfolgte. Das Gras hatte keine natürlichen Feinde und war keinem Wettstreit mit anderen Lebensformen ausgesetzt. Innerhalb relativ kurzer Zeit breitete es sich über den gesamten Planeten aus, aber es dauerte viele Jahrtausende, bis es Samenkörner entwickelte, die groß genug und geeignet waren, als Nahrung zu dienen. Wir nahmen die nötigen Eingriffe in die Evolution vor, und nun ist Ihr Ernährungsproblem gelöst, Sir.«
    »Danke«, sagte Ross nur. Er war unfähig, das auszudrücken, was er in diesen Augenblicken fühlte. Regen, Wind und in erster Linie das Salzwasser hatten es geschafft, die chemischen Veränderungen herbeizuführen, die tote, schwarze Küste in ein Paradies zurückzuverwandeln. Es hatte nur ein wenig Zeit gebraucht. 43 000 Jahre!
     
    Die Schwester wartete noch einige Minuten und überließ Ross seinen Gedanken, bis sie sagte: »Ihre gegenwärtige physische Verfassung läßt es noch nicht zu, daß Sie sich sofort wieder in die Arbeit stürzen, Sir, obwohl Sie nicht als Patient einzustufen sind. Deshalb schlage ich vor, daß Sie sich unsere verschiedenen Berichte

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