Das zweite Leben
andere Datenträger. Alle waren gelesen worden, und spezielle riesige Datenbänke enthielten alle Informationen daraus, die jederzeit abrufbar waren. Die Folge war gewesen, daß die Roboter einen gewaltigen Schritt in ihrer Entwicklung nach vorne machten. Sie lernten Initiative zu ergreifen und fast wie ein Mensch zu denken. Ross brauchte seine Anweisungen nicht mehr klar zu fassen. Selbst unvollendet gelassene Sätze wurden ergänzt und verstanden. Eine Robotzivilisation war entstanden, während zur Gewißheit wurde, daß es keine menschlichen Überlebenden der Katastrophe gab. Zwar gab es wieder Gras, doch das tote Meer war tot geblieben. Ross begann, das Gras zu hassen, weil es das einzige war, das seine Bemühungen hervorgebracht hatte. Oft lag er stundenlang darin und wartete darauf, daß eine Spinne über seine Arme kroch oder er das Summen von Insekten hörte. Die erste Euphorie schlug in Depression um. Wie schon einmal, vernachlässigte Ross die Arbeit und die Roboter, als die Hoffnung schwand, der Erde wirkliches Leben schenken zu können – Leben, das kroch, flog und Laute von sich gab.
5B gab sich alle Mühe, Ross Abwechslung zu verschaffen und ihn von seinen trüben Gedanken abzubringen. Die Schwester ließ ihm einen Anzug maßschneidern, eine kuriose Mischung aus Zivilkleidung und militärischer Uniform. Ross wagte nicht daran zu denken, daß Alice ihn so sehen könnte. Eines Tages sagte er zu 5B:
»Ich komme mir überflüssig vor. Laß uns zum Mond fliegen, sonst sterbe ich hier vor Langeweile.«
»Es tut mir leid, Sir«, antwortete die Schwester und erklärte, daß die Andruckwerte einen Menschen zermalmen würden und die radioaktive Strahlung der Brennkammern absolut tödlich sei. Sie zählte ein halbes Dutzend weitere Gründe für die Unmöglichkeit des Unternehmens auf. Für den letzten Menschen war die Weltraumfahrt zu gefährlich.
»Dann bleibt mir nur eines übrig«, murmelte Ross. »Ich werde mich wieder in den Tiefschlaf begeben.«
»Für wie lange, Sir? Und warum?«
Für immer! hätte Ross am liebsten gesagt, aber dann wäre er augenblicklich wieder Patient gewesen. So legte er sich einen Vorwand zurecht. Für ihn war es Entschuldigung und eine letzte Hoffnung zugleich. Der Gedanke war ihm gekommen, als er verzweifelt im Gras gelegen hatte.
»Da es nun keine Hoffnung mehr geben kann, überlebende Menschen zu finden, kann meine Aufgabe nur noch darin bestehen, intelligentes organisches Leben zu schaffen, und dazu brauchen wir die Ozeane. In ihnen entstand das Leben, und nur in ihnen kann es zum zweitenmal seinen Siegeszug antreten. Da das einzige verfügbare organische Material das Gras ist, werdet ihr versuchen, es ins Meer zu führen. Nehmt Gras, das sich in Sumpf gebieten ausgebreitet hat, und erhöht in diesen Gebieten den Wasserspiegel, bis die Pflanzen vollkommen vom Wasser bedeckt sind und darin leben. Wenn es soweit ist, muß allmählich eine Salzlösung dazugegeben werden. Ersetzt den Boden nach und nach durch Sand. Die Exemplare, die sich an die neuen Lebensbedingungen gewöhnt und angepaßt haben, bringt ihr schließlich zum Meer und setzt sie im Salzwasser aus. Ich weiß, daß dies eine Umkehrung der Evolutionsgeschichte ist, doch vielleicht entwickelt sich aus einigen Seegraspflanzen eine bewegliche Lebensform, die eines Tages Intelligenz entwickelt.«
»Ich habe verstanden, Sir«, sagte 5B. »Die Suche im Pazifik wird in 73 Jahren abgeschlossen sein. Sollen wir Sie dann …?«
»Ich will nicht geweckt werden, bevor das Projekt Erfolg hat«, unterbrach Ross barsch.
Und andernfalls würde er für immer im Tiefschlaf liegen. Doch das bereitete Ross augenblicklich keine Sorgen. Er versank in tiefe Depression und fühlte sich einsamer als jemals zuvor. Er wollte fliehen, bevor er verrückt wurde, sich einer Realität entziehen, die ihn zugrunde richtete und der er nicht mehr gewachsen war.
Ross sehnte sich nach dem Tod, als die Roboter ihn in den Tiefschlafbehälter legten.
14.
Wieder schien es Ross so, als sei nur eine Stunde vergangen, als die Roboter ihn zu »massieren« begannen. Als die Tortour überstanden war, stellte Ross die unausweichliche Frage:
»Sie haben 22 000 Jahre lang geschlafen, Sir«, antwortete 5B.
»Kaum der Rede wert«, meinte Ross sarkastisch. Er fühlte sich betrogen und immer noch so schlecht wie vor der letzten Tiefschlafperiode. Wieso hatten sie ihn nicht in Ruhe gelassen? Ross machte sich keine Illusionen, aber vielleicht gab es
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