Das zweite Vaterland
darauf in der Nähe der Canarien und der Azoren, sowie ziemlich weit seitwärts der Küste Portugals und Frankreichs vorübergekommen war, lief sie in den Aermelcanal ein, umschiffte die Insel Wight und ging am 14. Februar 1817 in Portsmouth vor Anker.
Jenny Wolston wollte sofort nach London weiterreisen, wo ihre Tante, eine Schwägerin ihres Vaters, wohnte. War der Oberst noch in Dienst, so konnte sie ihn dort nicht finden, da der Feldzug, zu dem er von Indien her einberufen worden war, voraussichtlich mehrere Jahre dauerte. Hatte er dagegen den Dienst quittirt, so lebte er jedenfalls in seiner Schwägerin Hause, und hier sollte er dann endlich die wiedersehen, die er als ein Opfer des Schiffbruches des »Dorcas« betrauerte.
Fritz und Franz boten sich Jenny zur Begleitung nach London an, wohin sie ihre Geschäfte ebenfalls riefen, und daß Fritz Eile hatte, mit dem Oberst Montrose zusammenzutreffen, wird ja niemand wundern. Jenny ging von Herzen gern auf das Anerbieten ein. Alle drei reisten noch am nämlichen Abend ab und trafen am Morgen des 23. in London ein.
Hier sollte Jenny Montrose leider eine tiefschmerzliche Ueberraschung erfahren: von ihrer Tante hörte sie, daß der Oberst im Laufe des letzten Feldzuges gestorben war, ohne zu wissen, daß seine so viel beweinte Tochter noch lebte. Jetzt hierher geeilt, weit vom Indischen Oceane her, um ihren Vater zu umarmen und sich nie wieder von ihm zu trennen, um ihm ihren Lebensretter vorzustellen und seinen Segen zu ihrer Verbindung mit diesem zu erbitten, war es Jenny beschieden, ihn überhaupt nicht wiederzusehen.
Ihr erdrückender Schmerz gegenüber einem so unerwarteten Unglück ist wohl begreiflich genug. Vergeblich bemühte sich ihre Tante, ihr Trost zuzusprechen, vergeblich vereinte Fritz seine Thränen mit den ihrigen, der Schlag war gar zu hart, denn niemals wäre ihr der Gedanke gekommen, daß der geliebte Vater, wenn er auch nicht gerade in England anwesend war, nicht mehr unter den Lebenden weilen sollte.
Fritz empfand einen kaum minder tiefen Schmerz. Er erwartete ja vor allem die Zustimmung des Oberst Montrose zu seiner Vermählung mit Jenny, und der Oberst war nicht mehr in dieser Welt!
Einige Tage darauf und nach einem längeren Gespräche, bei dem so manche Thräne vergossen, so mancher Seufzer ausgestoßen wurde, begann Jenny:
»Fritz, mein lieber Fritz, uns beide, Dich so gut wie mich, hat ja das schwerste Unglück heimgesucht, doch wenn Deine Gesinnungen noch die früheren sind…
– Ach, meine geliebte Jenny! rief Fritz.
– Ja ja, ich weiß es, fuhr Jenny fort, und mein Vater wäre gewiß so glücklich gewesen, Dich seinen Sohn zu nennen. So wie ich seine zärtliche Liebe für mich kannte, bezweifle ich nicht im mindesten, daß er uns gefolgt wäre, um unser Leben in der neuen englischen Colonie zu theilen. Auf dieses Glück muß ich nun verzichten! Jetzt stehe ich allein in der Welt und hänge nur von mir selbst ab. Allein?… o nein! Du bist ja da, mein Fritz…
– Jenny, betheuerte der junge Mann im Tone innigster Zärtlichkeit, mein ganzes Leben soll ausschließlich Deinem Glücke geweiht sein…
– Wie das meine dem Deinigen, mein geliebter Fritz! Da nun aber mein Vater nicht mehr da ist, seine Zustimmung zu geben, da ich keine näheren Blutsverwandten und keine andere Familie habe, als die Deinige…
– Ja, die meinige, zu der Du schon seit drei Jahren gehörst, meine Herzensjenny, seit jenem Tage, wo ich Dich an dem Rauchenden Felsen fand…
– Eine Familie, die mich liebt und die ich liebe, Fritz! Nun wohl, nach wenigen Monaten werden wir wieder zurück, wieder in ihrem Kreise sein…
– Verheiratet, Jenny?…
– Ja, Fritz, wenn Du es wünschest, da Du die Zustimmung Deines Vaters hast und meine Tante die ihrige nicht verweigern wird…
– Jenny. meine geliebte Jenny! rief Fritz in die Knie sinkend. Du erfüllst meinen heißesten Wunsch, daß ich Vater und Mutter mein Weib zuführen darf!«
Jenny Montrose verließ jetzt nicht mehr das Haus ihrer Tante, wo Fritz und Franz sie täglich besuchten. Inzwischen wurde alles geordnet, um die Hochzeit nach Verlauf der gesetzlichen Frist feiern zu können.
Andererseits waren die zwei Brüder auch von den nicht so belanglosen Geschäftsangelegenheiten, der ersten Ursache ihrer Reise nach Europa, in Anspruch genommen.
Zunächst handelte es sich dabei um den Verkauf der werthvollen Erzeugnisse der Insel, der Korallen von der Walfischinsel, der Perlen, die in der
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