Das zweite Vaterland
Cluse, dem schönen Grünthale und der nächsten Umgebung der Perlenbucht. Dabei erinnerte man sich unwillkürlich der Worte der Frau Zermatt: was aus der schiffbrüchigen Familie hätte werden sollen, wenn das Tonnenfloß hier an die östliche Küste getrieben worden wäre.
Von dem Steilufer aus bis zu der zwei Lieues im Westen schimmernden Rettungsbucht flog der Blick also über eine völlig wüste Gegend ohne Grün, ohne Bäume, ohne jeden Wasserlauf. Auch kein vierfüßiges Thier war hier zu erspähen, selbst die Seevögel schienen das unwirthliche Gebiet zu meiden.
»Hiermit ist unser Ausflug ja schon zu Ende, erklärte der ältere Zermatt, wenigstens auf diesem Theile unserer Insel.
– Ja freilich, stimmte ihm Wolston bei, und es erscheint mir ganz nutzlos, sich einer brennenden Sonnengluth auszusetzen, nur um ein steinichtes Land zu besichtigen, mit dem doch niemals etwas anzufangen ist.
– Wie launisch und erfindungsreich ist doch die Natur! bemerkte Ernst. Wie liebt sie es, Gegensätze zu erschaffen! Da unten entwickelt sie all ihre productive Kraft… hier tritt uns die entsetzlichste Unfruchtbarkeit entgegen.
– Da ist es wohl das beste, meinte Frau Zermatt, nach dem Strande zurückzukehren und gleich wieder an Bord zu gehen.
– Das ist auch meine Ansicht, schloß Frau Wolston sich ihr an.
– Nun ja, sagte Jack, doch nicht vor einer Ersteigung der höchsten Felsenspitze, die, wie Sie sehen, dort aufragt.«
Er zeigte dabei nach einer Steinmasse hin, die sich links von ihnen gegen sechzig Fuß über den Erdboden erhob. In kaum fünf Minuten hatte er deren Gipfel erreicht. Als er sich dann nach allen Seiten umgewendet hatte, rief er Wolston, seinem Vater und seinem Bruder zu, ihm nachzufolgen. Da er mit der Hand unausgesetzt nach Südosten wies, ließ sich wohl daraus entnehmen, daß er irgend etwas besonderes entdeckt hatte.
Mit einiger Anstrengung waren Wolston und der ältere Zermatt bald zu ihm hinaufgestiegen.
In der erwähnten Richtung zeigte das Gelände neben der Küste allerdings ein völlig anderes Aussehen.
Zwei Lieues von der »Licorne«-Bai endigte das sich plötzlich senkende Steilufer an einer breiten Thalmulde, die höchstwahrscheinlich einer der Hauptflüsse der Insel bewässerte. Auf der Rückseite dieser Bodensenke dehnten sich die grünen Massen dichter Wälder aus. In deren Zwischenräumen und weiter hinaus zeigte das Land eine üppige Vegetation, so weit man es nach Süden und Südosten hin übersehen konnte. Der völlig unfruchtbare Theil schien sich auf ein Gebiet von fünf bis sechs Quadratlieues zwischen dem Cap im Osten und der Rettungbucht zu beschränken. Wenn überhaupt eine Gegend genauerer Besichtigung werth war. so war es ohne Zweifel die, die sich den Blicken der Colonisten jetzt zum erstenmale darbot. Gewiß barg sie manche Ueberraschung, versprach sie mancherlei Vortheile, wenn um ihretwillen auch keiner das Gelobte Land würde vergessen können.
»Brechen wir dahin auf! trieb Jack.
– Ja, vorwärts!« mahnte auch Wolston, schon bereit, in der Richtung nach dem neuen Thale abzugehen.
Zwei tüchtige Lieues aber auf einem mit Geröll bedeckten Boden, wobei der Weg sich überdies vielfach zwischen größern Felsblöcken hinwand, mußten offenbar eine geraume Zeit beanspruchen, von der Strapaze und der auf dieser kahlen Hochfläche nahezu gefährlichen Sonnenhitze gar nicht zu reden.
Der ältere Zermatt hielt es deshalb für seine Pflicht, die Ungeduld Wolston’s und Jacks zu zügeln.
»Nicht noch heute, wendete er ein, der Tag ist schon zu weit vorgeschritten. Wir wollen bis morgen warten. Statt diese Gegend zu Fuß zu durchmessen, begeben wir uns dann auf dem Wasserwege dahin. Das Thal, das wir da draußen sehen, läuft jedenfalls an einem Ufereinschnitte aus, an einer Bucht, in die ein Fluß münden dürfte. Findet die Pinasse dort einen guten Ankerplatz, so wollen wir gern ein oder zwei Tage daransetzen, uns das Innere recht gründlich anzusehen.«
Das war ein kluger Vorschlag, dem auch niemand widersprach.
Nach einer kurzen, letzten Umschau stiegen die Herren Zermatt und Wolston mit Jack wieder hinunter und meldeten, was sie beschlossen hatten. Die auf den nächsten Tag verschobene Untersuchung versprach unter Umständen zu verlaufen, die ohne Gefahr und Mühe eine Betheiligung aller gestatten.
Jetzt blieb nur übrig, den Pfad nach dem Passe wieder hinabzugehen, und dann bedurfte es nur weniger Minuten, den Fuß des Steilufers zu
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