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Das zweite Vaterland

Das zweite Vaterland

Titel: Das zweite Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Handhabung der Ruder in der fast glühenden Atmosphäre sehr beschwerlich. Zum Glücke war die Kraft der Strömung trotz der eingetretenen Ebbe nicht verstärkt, da die Gezeiten nur bis an die Flußbiegung heraufreichten. So hatte man also nur die gewöhnliche Stromgeschwindigkeit des in dieser Jahreszeit obendrein sehr niedrigen Wassers zu überwinden. Nach einigen Wochen mußte das schon anders ein: dann wälzten sich, nach Eintritt der Regenzeit, die Niederschläge von den Bergen durch ihren natürlichen Ablaufcanal, durch das Bett des Montrose-Flusses hin..
    Trotz der Hitze arbeiteten sich Wolston und Ernst aber unverdrossen vorwärts. Zwischen den vielfach gewundenen Ufern fanden sich nahe den Stellen wo das Land etwas weiter vorsprang, sprudelnde Wasserwirbel, die sie bestens ausnützten, um ihre Kräfte zu schonen.
    »Es scheint mir nicht unmöglich, sagte Wolston, daß wir den Fuß der Berge, aus denen der Montrose jedenfalls hervorbricht, zu Wasser erreichen könnten.
    – Sie sind noch immer dieser Meinung, Herr Wolston? antwortete Ernst die Achseln zuckend.
    – Noch immer, lieber Freund, und es ist zu wünschen, daß ich mich darin nicht täusche. Sie kennen Ihre Insel thatsächlich nicht eher, als Sie deren ganze Ausdehnung vom Gipfel jener. offenbar nicht sehr hohen Berge aus noch nicht überschaut haben.
    – Nun, deren Höhe schätze ich auf zwölf-bis fünfzehnhundert Fuß, Herr Wolston, und darin stimme ich allerdings mit Ihnen überein, daß man von ihrem Gipfel aus den Gesammtumfang der Neuen Schweiz werde übersehen können, wenigstens wenn diese nicht weit größer ist, als wir es annehmen. Was jenseits jener Bergkette liegen mag? – Ja, das wissen wir nicht, weil wir uns seit vollen zwölf Jahren im Gelobten Lande niemals beengt gefühlt haben.
    – Das begreif’ ich vollkommen, lieber Ernst, antwortete Wolston; jetzt aber haben wir ein dringliches Interesse daran, uns klar zu werden über die Ausdehnung einer Insel, die doch spätere Ansiedler aufnehmen soll…
    – Das wird geschehen, Herr Wolston, sobald die schöne Jahreszeit wieder eintritt, und jedenfalls, verlassen Sie sich darauf, noch vor der Rückkehr der »Licorne«.
     

    Wolston warf den kleinen Anker ans Land. (S. 157.)
     
    Für heute erscheint es mir rathsamer, uns auf diese mehrstündige Fahrt zu beschränken, die uns ja über die Hauptrichtung des Stromlaufes aufgeklärt hat.
    – Und doch, Ernst, würde es uns bei noch einiger Ausdauer wohl möglich sein, nicht nur bis zur Bergkette vorzudringen, sondern sie auch noch zu ersteigen…
    – Vorausgesetzt, daß sie nicht gar zu steil abfällt…
    – O, mit einem Paar tüchtiger Beine…
    – Sie hätten entschieden besser gethan, Jack an meiner Stelle mitzunehmen, sagte Ernst lächelnd. Er hätte Ihnen nicht widersprochen, ja Sie vielmehr selbst noch gedrängt, bis nach den Bergen hinauszuziehen, unbekümmert, ob er morgen oder übermorgen von da zurückkehrte, und unbekümmert durch die Unruhe, in die er durch eine solche Verzögerung alle anderen versetzte.
    – Nun ja, Sie haben im Grunde recht, liebes Kind, erwiderte Wolston. Unser einmal gegebenes Versprechen müssen wir wohl halten. Nur noch eine Stunde lang weiter, dann mag unser Canot mit der Strömung wieder hinabgleiten. Immerhin werd’ ich mich nicht eher beruhigen, als bis wir die Flagge Alt-Englands auf der höchsten Spitze der Neuen Schweiz aufgepflanzt haben!«
    Der mit diesen Worten ausgedrückte Wunsch des Herrn Wolston kann wohl niemand überraschen. Er sprach als guter Engländer, und das gerade zu einer Zeit, wo Großbritannien seine Flotten nach allen Meeren hinaussendete, um den Colonialbesitz des Reiches zu vergrößern. Er begriff aber auch, daß es empfehlenswerther sei, die eigentliche Besitzergreifung der Insel noch zu verschieben, und so bestand er nicht länger auf dem geäußerten Wunsche.
    Die Fahrt ging also weiter. Immer das weitoffene, baumlose Land, das auch minder fruchtbar wurde, je weiter es sich nach Südwesten zu ausdehnte. Auf Wiesengründe folgten allmählich öde und dürre, mit Gestein übersäte Flächen. Nur vereinzelt schwebten Vögel über dem nackten Erdboden. Von den am Vormittage bemerkten Thieren, von Büffeln, Antilopen und Straußen, war nichts mehr zu entdecken. Hier gab es nur noch Rudel von Schakalen, die man zwar auch nicht sah, deren Geheul aber die Luft erfüllte, ohne ein Echo zu wecken.
    »Jack ist gut berathen gewesen, uns nach dieser Seite nicht zu begleiten,

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