Das zweite Zeichen
des
Spiegels steckten. Dann kletterte er vorsichtig ins Nebenzimmer, ging zur Tür und öffnete
sie.
Er sah Tracy sofort. Sie stand orientierungslos mitten im Boxring, die Arme hingen schlaff an den
Seiten herab.
»Tracy?«, sagte er.
»Kann sein, dass sie Sie nicht hört, Inspector Rebus. Heroin kann nämlich diese Wirkung
haben.«
Rebus sah Malcolm Lanyon aus dem Dunkeln treten. Hinter ihm waren zwei weitere Männer. Einer war
groß und hatte eine gute Figur für einen Mann reiferen Alters. Er hatte dicke schwarze
Augenbrauen und einen dichten Schnurrbart, der silbrig durchsetzt war, und tief liegende Augen.
Sein Gesicht war durch und durch finster. Noch nie hatte Rebus einen so calvinistisch aussehenden
Mann gesehen. Der andere Mann war stämmiger und sah weniger wie ein selbstgerechter Sünder aus.
Er hatte lockiges, aber schütteres Haar, sein grobschlächtiges Gesicht war voller Narben, das
Gesicht eines Arbeiters. Er grinste anzüglich.
Rebus blickte wieder zu Tracy herüber. Ihre Pupillen waren wie Stecknadelköpfe. Er ging zum Ring,
kletterte hinein und drückte sie an sich. Ihr Körper war völlig willenlos, das Haar feucht vor
Schweiß. Sie hätte eine lebensgroße Stoffpuppe sein können, so wenig Kraft war in ihr. Doch als
Rebus ihr Gesicht so hielt, dass sie ihn ansehen musste, schimmerten ihre Augen, und er spürte,
wie ihr Körper zuckte.
»Mein besonderer Kick«, sagte Lanyon gerade. »Scheint, als hätte ich's nötig gehabt.« Er
blickte hinüber zu dem Zimmer, in dem Andrews bewusstlos lag. »Finlay hat gesagt, er würde allein
mit Ihnen fertig. Nachdem ich Sie gestern Abend erlebt habe, kamen mir Zweifel.« Er gab einem der
Männer ein Handzeichen. »Sieh mal nach, wie's Finlay geht.« Der Mann verschwand. Rebus gefiel,
wie sich die Situation entwickelte.
»Hätten Sie was dagegen, in mein Büro zu kommen, um sich zu unterhalten?«, fragte er.
Lanyon dachte darüber nach. Er sah zwar, dass Rebus ein starker Mann war, aber auch, dass er alle
Hände voll mit dem Mädchen zu tun hatte. Außerdem hatte Lanyon natürlich seine Männer, während
Rebus allein war. Er ging zum Ring, packte eins der Seile und zog sich nach oben. Als er nun
Rebus gegenüberstand, sah er die Schnitte an dessen Arm und Hand.
»Übel«, sagte er. »Wenn Sie das nicht behandeln lassen...«
»Könnte ich verbluten?«
»Genau.«
Rebus sah auf das Segeltuch am Boden, wo sein Blut frische Flecken neben den namenlosen anderen
bildete. »Wie viele von ihnen sind im Ring gestorben?«, fragte er.
»Das weiß ich wirklich nicht. Nicht viele. Wir sind keine Tiere, Inspector Rebus. Es mag
gelegentlich mal einen... Unfall gegeben haben. Ich war selten im Hyde's. Ich habe lediglich neue
Mitglieder eingeführt.«
»Und wann werden Sie zum Richter ernannt?«
Lanyon lächelte. »Das wird noch eine Weile dauern. Aber irgendwann wird es passieren. Ich
war mal in London in einem ähnlichen Club wie dem Hyde's. Da hab ich übrigens Saiko kennen
gelernt.« Rebus bekam große Augen. »O ja«, sagte Lanyon. »Sie ist eine sehr vielseitige junge
Frau.«
»Ich nehme an, das Hyde's hat Ihnen und Andrews überall in Edinburgh Carte blanche
gegeben?«
»Es hat bei der einen oder anderen Baugenehmigung geholfen, bei manchen Prozessen für den
richtigen Ausgang gesorgt. Solche Dinge.«
»Und was passiert jetzt, wo ich über alles Bescheid weiß?«
»Nun ja, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Finlay und ich sehen für Sie eine
langfristige Zukunft in der Entwicklung Edinburghs zu einer großen Industrie- und Handelsstadt.«
Der Bodyguard unten am Ring lachte laut.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Rebus. Er konnte spüren, wie sich Tracys Körper anspannte und
wieder Kraft bekam. Wie lange das anhalten würde, wusste er allerdings nicht.
»Ich meine«, sagte Lanyon, »dass man Sie in Beton konservieren könnte, als Stütze einer der neuen
Umgehungsstraßen.«
»So was haben Sie wohl auch schon mal gemacht?« Die Frage war rein rhetorisch; das Lachen des
Gorillas hatte sie bereits beantwortet.
»Ein oder zweimal. Wenn etwas aus dem Weg geräumt werden musste.«
Rebus sah, wie Tracys Hände sich langsam zu Fäusten ballten. Dann kam der Bodyguard zurück, der
nach Andrews gesehen hatte.
»Mr. Lanyon!«, rief er. »Ich glaube, Mr. Andrews geht es sehr schlecht!«
In dem Moment, als Lanyon sich von ihnen wegdrehte, riss sich Tracy mit einem furchtbaren Schrei
von Rebus los, holte kurz mit den Fäusten aus und verpasste
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