Das zweite Zeichen
gekränkt war, und lief los. Unterdessen zerrte Rebus mit den Fingernägeln an der Kante der
verschlossenen Tür.
»Wir müssen hier rein!«
»Sie ist abgeschlossen, Sir.« Holmes bekam es mit der Angst; sein Vorgesetzter wirkte völlig
wahnsinnig. »Da kommt jemand.«
Ein uniformierter Sergeant kam schwerfällig angetrabt, die Schlüssel klimperten an einer
Kette.
»Schnell!«
Das Schloss bewegte sich, und Rebus riss die Tür auf. Drinnen lag Malcolm Lanyon in sich
zusammengesunken auf dem Fußboden, den Kopf gegen das Bett gelehnt. Seine Füße waren nach außen
gedreht wie bei einer Puppe. Eine Hand lag auf dem Boden. Eine dünne Nylonschnur, so was wie
Angelschnur, war um die Knöchel der Finger gewickelt, die ganz dunkel waren. Die Schnur lag in
einer Schlaufe um Lanyons Hals und hatte sich so tief in das Fleisch eingegraben, dass man sie
kaum noch sehen konnte. Lanyons Augen waren entsetzlich hervorgequollen, seine geschwollene Zunge
hing obszön aus seinem blutunterlaufenen Gesicht. Es war wie eine letzte makabere Geste, und
Rebus, dem es so vorkam, als zeige die Zunge auf ihn, fasste das als persönliche Beleidigung
auf.
Er wusste, dass es viel zu spät war, doch der Sergeant löste die Schnur und legte die Leiche
flach auf den Boden. Holmes lehnte den Kopf gegen die kalte Metalltür und kniff die Augen
zusammen, um den Vorgang in der Zelle nicht mitansehen zu müssen.
»Er muss sie irgendwo am Körper versteckt gehabt haben«, sagte der Sergeant als Entschuldigung
für diese ungeheure Schlamperei und sah auf die Schnur, die er jetzt in der Hand hielt. »Mein
Gott, was für eine Art abzutreten.«
Rebus dachte: Er hat mich betrogen, er hat mich betrogen. Ich hätte niemals den Mut gehabt, das
zu tun, mich langsam zu erwürgen... Das würde ich niemals fertig bringen, irgendetwas in mir
würde mich daran hindern...
»Wer war hier drinnen, seit er hergebracht wurde?«
Der Sergeant starrte Rebus verständnislos an.
»Die üblichen, nehm ich an. Er musste gestern Abend ein paar Fragen beantworten, nachdem Sie ihn
hergebracht hatten.«
»Ja, aber danach?«
»Nun ja, er hat was gegessen, nachdem Sie gegangen sind. Das ist so ungefähr alles.«
»Verdammter Scheißkerl«, knurrte Rebus, verließ mit großen Schritten die Zelle und ging über den
Flur zurück. Holmes, dessen Gesicht weiß und feucht war, war einige Schritte hinter ihm, holte
aber langsam auf.
»Sie werden die Sache begraben, Brian«, sagte Rebus mit vor Wut zitternder Stimme. »Sie werden
alles begraben, das weiß ich, und es wird noch nicht mal ein Kreuz geben, das die Stelle
markiert, gar nichts. Ein Junkie ist aus eigenem Verschulden gestorben. Ein Immobilienmakler hat
Selbstmord begangen. Und nun bringt sich ein Anwalt in einer Polizeizelle um. Es besteht keine
Verbindung dazwischen, es wurde kein Verbrechen begangen.«
»Aber was ist mit Andrews?«
»Was glauben Sie, wo wir hingehen?«
Sie kamen gerade rechtzeitig im Krankenhaus an, um zu erleben, wie effektiv das Personal in einem
Notfall handelte. Rebus eilte durch den Saal und schob alle beiseite, die ihn aufhalten wollten.
Finlay Andrews lag mit entblößter Brust im Bett und bekam Sauerstoff zugeführt, während die
Herzüberwachungsanlage angeschlossen wurde. Ein Arzt hielt in jeder Hand eine Elektrode, dann
drückte er sie langsam auf Andrews' Brust. Einen Augenblick später ging ein Ruck durch den
Körper. Doch der Monitor zeigte nichts an. Mehr Sauerstoff, mehr Volt... Rebus wandte sich ab. Er
hatte das Drehbuch gesehen; er wusste, wie der Film enden würde.
»Und?«, sagte Holmes.
»Herzinfarkt.« Rebus Stimme war ausdruckslos. Er bewegte sich Richtung Ausgang. »Wir wollen es
auf jeden Fall so nennen, denn das wird auch auf dem Totenschein stehen.«
»Also, was nun?« Holmes hielt mit ihm Schritt. Er fühlte sich ebenfalls betrogen. Rebus dachte
über die Frage nach.
»Wahrscheinlich werden die Fotos verschwinden. Zumindest die wichtigen. Und wer ist noch übrig,
um auszusagen? Über was auszusagen?«
»Sie haben an alles gedacht.«
»Außer an eines, Brian. Ich weiß, wer sie sind.«
Holmes blieb stehen. »Spielt das irgendeine Rolle?«, rief er dem Rücken nach, der sich langsam
entfernte. Doch Rebus ging einfach weiter.
Es gab einen Skandal, aber nur einen kleinen, der bald vergessen war. In den abgeschotteten
Räumen der eleganten georgianischen Häuser ging schon bald wieder das Licht an, eine großartige
Auferstehung des alten Geistes. Über
Weitere Kostenlose Bücher