Dass du ewig denkst an mich
ist es eine ziemliche Strecke«, stellte er fest.
»Lassen Sie uns in normalem Tempo gehen. Das sollte
wenigstens fünf Minuten dauern.«
Sarah nickte. Sie hatte sich fest vorgenommen, nicht nach
irgendwelchen Strohhalmen zu greifen, anders zu reagieren als
so viele Angehörige von Angeklagten, gegen die sie die
Anklage vertreten hatte. Selbst angesichts überwältigenden
Beweismaterials ließen diese oft nicht von ihrer Überzeugung
ab, daß irgendein schrecklicher Fehler vorliegen mußte.
Moodys Theorie, wonach Karen Grant sowohl ein Motiv als
auch Gelegenheit gehabt hatte, ihren Mann zu töten, wollte
Sarah möglichst objektiv und leidenschaftslos prüfen.
»Vergessen Sie nicht, Karen Grant und Mrs. Webster
erfuhren erst, als sie hier ankamen, daß die Computeranlage
ausgefallen war und das Flugzeug erst um halb ein Uhr nachts
eintreffen sollte.« Moody hielt inne und blickte auf die
Bildschirme mit den Ankunfts- und Abflugszeiten. »Wie
reagieren Sie, wenn Sie Karen Grant sind und auf Ihren Mann
gerade schlecht zu sprechen sind? Vielleicht sogar ein bißchen
mehr als nur schlecht zu sprechen, wenn Sie mit ihm telefoniert
haben und er Ihnen erklärt hat, er wolle sich scheiden lassen?«
In all diesen Monaten hatte Sarah in Karen Grant immer die
trauernde Witwe gesehen. Vor Gericht, als Laurie sich schuldig
erklärt hatte, hatte sie Schwarz getragen. Seltsam, dachte Sarah
jetzt, während sie sich an die Szene erinnerte. Vielleicht ein
wenig dick aufgetragen - heutzutage gibt es nicht mehr viele
Leute Anfang Dreißig, die zum Zeichen der Trauer Schwarz
tragen.
Sarah machte Brendon gegenüber eine entsprechende
Bemerkung, während sie auf die VIP-Lounge zugingen. Er
nickte. »Die Witwe Grant spielt eine bestimmte Rolle, das
merkt man. - Wir wissen, daß sie und Anne Webster in die
Lounge gegangen sind und dort einen Drink genommen haben.
Der Film Spartacus begann an diesem Abend um
einundzwanzig Uhr. Die Empfangsdame, die damals Dienst
hatte, ist heute hier«, sagte er. »Wir wollen mit ihr sprechen.«
Die Empfangsdame erinnerte sich nicht an den Abend des
28. Januar, kannte aber Anne Webster und mochte sie. »Ich bin
jetzt seit zehn Jahren im Beruf«, erklärte sie, »und ich kenne
keinen, der den Reisebüroberuf ernster nimmt. Das einzige
Problem mit Anne Webster ist, daß sie den Fernseher völlig
beschlagnahmt, wenn sie hier Zeit totschlagen muß. Sie
schaltet immer einen der Filmsender ein und kann richtig stur
werden, wenn jemand Nachrichten oder irgend etwas anderes
ansehen will.«
»Ein echtes Problem«, meinte Brendon mitfühlend.
Die Frau lachte. »Oh, eigentlich nicht. Ich sage den Leuten
immer, sie sollen fünf Minuten warten. Anne Webster schläft
schneller ein als irgend jemand, den ich kenne. Und sobald sie
eingeschlafen ist, wechseln wir den Kanal.«
Vom Flughafen fuhren sie nach Clinton. Unterwegs überlegte
Moody: »Nehmen wir einmal an, daß Karen sich in jener Nacht
während des Wartens auf dem Flughafen immer größere
Sorgen machte, sie würde ihrem Mann die Scheidung nicht
mehr ausreden können. Webster ist entweder in einen Film
vertieft oder eingeschlafen und würde sie nicht vermissen. Und
das Flugzeug kommt erst um halb eins.«
»Also stieg sie in ihren Wagen und fuhr nach Hause«, sagte
Sarah.
»Genau. Nehmen Sie jetzt weiter an, daß sie das Haus
aufgesperrt hat und ins Schlafzimmer gegangen ist. Allan
schlief. Karen sah eine fremde Umhängetasche und ein Messer
und ergriff sofort die günstige Gelegenheit, ihren Mann aus
dem Weg zu räumen.«
Noch immer war das Ganze Theorie, denn auch die
gerichtliche Verfügung an die Bank in Chicago hatte bis jetzt
keine weiteren Ergebnisse geliefert.
Das Konto war auf den Namen Jane Graves und eine
Adresse auf den Bahamas eröffnet worden, die sich wiederum
als Schließfach erwies. Die Einzahlung stammte von einem
Nummernkonto in der Schweiz.
»Es ist fast unmöglich, über solche Einzahlungen Auskunft
zu bekommen«, sagte Brendon. »Ich neige jedoch zu der
Annahme, daß Karen Grant Danny angeheuert hat. Vielleicht
hat sie einen Teil des Treuhandfonds von Allan Grant beiseite
geschafft, und als in der Reisebranche Tätige kennt sie sich ja
mit Auslandskonten aus.«
Als sie Clinton erreichten, stand die Tafel des
Immobilienmaklers immer noch vor Allan Grants Haus auf
dem Rasen.
Sie betrachteten das Haus eine Weile lang, ohne
auszusteigen. »Es könnte so gewesen sein«, sagte Sarah
schließlich.
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