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Dass du ewig denkst an mich

Titel: Dass du ewig denkst an mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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seine Artikel, die er in bekannten Ärztezeitschriften
veröffentlichte, trugen ihm bald internationale Anerkennung
ein. Bereits mit fünfunddreißig Jahren wurde er nach New
York eingeladen, um im Lehman Hospital ein Zentrum für
Persönlichkeitsstörungen einzurichten.
    Justin lebte jetzt seit zwei Jahren in Manhattan und
betrachtete sich als eingefleischten New Yorker. Auf dem Weg
ins Büro genoß er die neuvertrauten Bilder: die Pferde und
Kutschen, die durch den Park rollten, den Zoo an der
Fünfundsechzigsten Straße, die Türsteher an den schicken
Apartmentgebäuden an der Fifth Avenue. Die meisten von
ihnen begrüßten ihn mit Namen. Als er jetzt an ihnen
vorbeischritt, machten einige von ihnen Bemerkungen über das
schöne Oktoberwetter.
    Es würde ein anstrengender Tag werden. Justin war
gewöhnlich bemüht, die Zeit zwischen zehn und elf für
Gespräche mit seinen Mitarbeitern freizuhalten. Heute morgen
machte er eine Ausnahme. Ein dringender Telefonanruf am
Samstag von einem Kollegen aus New Jersey hatte sein
Interesse geweckt. Dr. Peter Carpenter wollte so schnell wie
möglich mit ihm über eine Patientin sprechen, bei der er
Persönlichkeitsspaltung und Suizidgefahr vermutete. Justin
hatte sich um zehn Uhr mit ihm verabredet.
    Er erreichte die Kreuzung zwischen der
Sechsundneunzigsten Straße und der Fifth Avenue in
fünfundzwanzig Minuten und tröstete sich damit, daß der
dichte Fußgängerverkehr ihn aufgehalten hatte. Der
Haupteingang des Hospitals lag an der Fifth Avenue. Die
Klinik erreichte man durch eine diskrete Privattür an der
Sechsundneunzigsten. Justin war fast immer der erste, der dort
eintraf. Sein Büro war eine kleine Suite am Ende des
Korridors. Den in sanften Elfenbeintönen gehaltenen Vorraum
mit seinem Schreibtisch, dem Drehsessel, zwei
Besuchersesseln, Bücherschränken und ein paar Aktenregalen
belebten bunte Drucke von Segelbooten im Hafen von Sydney.
Der Raum dahinter, das Sprechzimmer, war mit einer
Videokamera und einem Tonbandgerät ausgestattet.
    Seine erste Patientin war eine vierzigjährige Frau aus Ohio,
die sich seit sechs Jahren in Behandlung befand und für die die
Diagnose auf Schizophrenie lautete. Zu ihm war sie erst
gekommen, als ein gewitzter Psychologe sich zu der
Erkenntnis durchgerungen hatte, daß die Stimmen, die die Frau
hörte, die anderer Persönlichkeiten waren. Sie machte gute
Fortschritte.
    Dr. Carpenter traf pünktlich um zehn ein. Er bedankte sich
bei Justin, daß er ihn so kurzfristig empfangen hatte, und
begann sofort über Laurie zu sprechen.
    Donnelly hörte zu, machte sich Notizen, stellte Fragen.
Carpenter schloß: »Ich bin kein Experte für multiple
Persönlichkeit, aber die Symptome sprechen dafür. Ihre
Stimme und ihr Verhalten haben sich während der letzten
beiden Besuche deutlich verändert. Mindestens in einem Fall
war ihr nicht bewußt, daß sie ihr Zimmer verließ und
stundenlang weg war. Ich bin überzeugt, daß sie nicht bewußt
lügt, wenn sie behauptet, die ganze Zeit geschlafen zu haben.
Sie hat immer wieder denselben Alptraum, in dem ein Messer
auf sie einsticht. Aber in der Abreaktion hielt sie das Messer
und stach selbst zu. Dann schaltete sie um und versuchte ihm
auszuweichen. Ich habe eine Kopie ihrer Akte gemacht.«
    Donnelly überflog die Blätter. Der Fall faszinierte ihn. Als er
die Akte weglegte, sagte er: »Die Aufzeichnungen des
Krankenhauses in Pittsburgh, wo man sie untersucht hatte,
deuteten auf sexuellen Mißbrauch über einen längeren
Zeitraum und enthalten die Empfehlung auf psychiatrische
Behandlung. Ich nehme an, daß eine solche Behandlung nicht
stattgefunden hat.«
»Die Eltern haben das kategorisch abgelehnt«, antwortete
    Dr. Carpenter, »demzufolge kam es zu keinerlei Therapie.«
»Typisch für die Denkweise vor fünfzehn Jahren«, stellte
Donnelly fest. »Wenn wir Laurie dazu überreden könnten,
hierherzukommen, damit ich mir selbst ein Urteil bilden kann,
wäre das natürlich am besten, und zwar, je früher, desto besser.
Ansonsten würde ich gern mit der Schwester sprechen. Sie
sollte auf ungewöhnliches Verhalten achten und darf
Andeutungen über Selbstmord auf keinen Fall auf die leichte
Schulter nehmen.«
Die beiden Psychiater gingen gemeinsam zur Tür. Im
Empfangsraum starrte ein dunkelhaariges junges Mädchen zum
Fenster hinaus. Ihre Arme waren bis zu den Ellbogen
bandagiert.
Donnelly sagte leise: »Sie müssen das sehr ernst

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