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Dass du ewig denkst an mich

Titel: Dass du ewig denkst an mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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mit den dunklen Ringen unter
den Augen, das ihr entgegenblickte. Sie hatte immer ein
schmales Gesicht gehabt, aber jetzt waren ihre Wangen
geradezu hohl und ihre Lippen fahl. Sie erinnerte sich, daß ihre
Mutter an ihrem letzten Morgen gesagt hatte: »Sarah, warum
trägst du nicht ein wenig Make-up? Etwas Lidschatten würde
deine Augen betonen.«
    Sie legte die Schultertasche und den Aktenkoffer wieder hin,
ging nach oben und holte die selten benutzte Kosmetikbox aus
dem Spiegelschrank im Bad. Das Bild ihrer Mutter in ihrem
cremefarbenen Morgenrock, in ihrer ganzen liebevollen,
mütterlichen Schönheit, das sie aufforderte, Lidschatten
aufzulegen, trieb ihr endlich die heißen Tränen in die Augen,
die sie um Lauries willen zurückgehalten hatte.
    Es tat gut, in ihr stickiges Büro mit der abgeblätterten Farbe an
den Wänden, den Aktenstapeln und dem ewig klingelnden
Telefon zurückzukehren. Viele ihrer Kollegen hatten an der
Beerdigung teilgenommen. Ihre engeren Freunde waren im
Gottesdienst gewesen und hatten in den letzten zwei Wochen
angerufen oder sie besucht.
    Heute schienen alle zu verstehen, daß sie sich wieder nach
dem normalen Alltag sehnte. »Schön, daß du wieder da bist.«
Eine schnelle Umarmung. Und dann das vertraute: »Sarah,
wenn Sie dann mal eine Minute Zeit haben…«
    Ihr Mittagessen bestand aus einem Käsesandwich und
schwarzem Kaffee in der Gerichtskantine. Um drei Uhr hatte
Sarah das beruhigende Gefühl, daß sie sich um die wichtigsten
Anliegen von Klägern, Zeugen und Anwälten gekümmert
hatte.
    Um vier Uhr hielt sie es nicht länger aus und rief Laurie im
College an. Der Hörer auf der anderen Seite wurde sofort
abgehoben. »Hallo?«
»Laurie, ich bin’s. Wie geht’s denn?«
    »So lala. Ich war in drei Vorlesungen, die letzte habe ich
dann sausenlassen. Ich war einfach zu müde.«
»Kein Wunder. Schließlich hast du ja keine Nacht richtig
geschlafen. Was machst du heute abend?«
»Ins Bett gehen. Einmal einen klaren Kopf bekommen.«
»Okay. Ich werde eine Weile länger im Büro bleiben und
gegen acht zu Hause sein. Soll ich dich dann anrufen?«
»Das wäre fein.«
Sarah blieb bis Viertel nach sieben im Büro und kaufte sich
dann in einem Schnellimbiß einen Hamburger zum
Mitnehmen. Um halb neun rief sie Laurie an.
Es klingelte ewig. Vielleicht duscht sie gerade. Vielleicht hat
sich auch irgendeine Reaktion eingestellt. Sarah hielt den
Hörer und ließ es endlos klingeln. Schließlich meldete sich eine
ungeduldige Stimme. »Laurie Kenyons Apparat.«
»Ist Laurie da?«
»Nein. Ersparen Sie mir das bitte, wenn der Apparat beim
fünften oder sechsten Mal nicht abgehoben wird. Mein Zimmer
ist auf der anderen Seite des Korridors, und ich muß mich auf
eine Prüfung vorbereiten.«
»Tut mir leid. Es ist nur so, daß Laurie früh zu Bett gehen
wollte.«
»Nun, sie hat es sich anders überlegt. Sie ist vor ein paar
Minuten weggegangen.«
»War alles in Ordnung mit ihr? Ich bin ihre Schwester und
mache mir etwas Sorgen.«
»Oh, das wußte ich nicht. Das mit Ihrer Mutter und Ihrem
Vater tut mir so leid. Ja, ich glaube, Laurie war okay. Sie war
richtig rausgeputzt, wie zu einer Verabredung.«
Um zehn rief Sarah wieder an. Dann um elf, um zwölf und
um eins. Beim letztenmal meldete sich eine schläfrige Laurie.
»Mir geht’s gut, Sarah. Ich bin gleich nach dem Abendessen zu
Bett gegangen und habe seitdem geschlafen.«
»Laurie, ich habe das Telefon so lange läuten lassen, daß das
Mädchen auf der anderen Seite des Flurs rüberkam und
abgehoben hat. Sie sagte mir, du seiest weggegangen.«
»Sarah, das stimmt nicht. Ich schwöre dir, ich war die ganze
Zeit hier.« Lauries Stimme klang verängstigt. »Warum sollte
ich dich denn anlügen?«
Das weiß ich nicht, dachte Sarah.
»Nun, Hauptsache, es geht dir gut. Schlaf weiter«, sagte sie
und legte langsam den Hörer auf.
16
    Dr. Carpenter spürte die Veränderung sofort, als Laurie sich in
dem schweren Ledersessel zurücklehnte, und schlug gar nicht
erst vor, daß sie sich auf die Couch legen sollte. Das vorsichtig
tastende Vertrauen in ihn, das sich bei ihr zu entwickeln
begann, durfte unter keinen Umständen wieder verlorengehen.
Er erkundigte sich, wie die letzte Woche im College gewesen
war.
    »Ganz in Ordnung, denke ich. Die Leute waren alle
schrecklich nett zu mir. Ich muß so viel nachholen, daß ich
meistens bis spät in die Nacht hinein büffle.« Sie zögerte und
verstummte dann

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