Dass du ewig denkst an mich
auf der Treppe nach oben war niemand
zu sehen. Sie wickelte schnell das kleine Päckchen aus, das sie
in der Hand hielt, ließ seinen Inhalt mitten in dem Vorraum
fallen und ging hinaus. Bic wartete draußen in dem Mietwagen.
»Nicht einmal ein Blinder könnte es verfehlen«, sagte Opal,
als er sie fragend ansah.
»Niemand hat auf dich geachtet«, versicherte er ihr.
»Jetzt werden wir ein paar Minuten warten und sehen, was
passiert.«
Laurie eilte die Treppe hinunter. Sie wollte auf schnellstem
Weg zum College zurück. Als ob sie es nötig hätte, hier
herumzusitzen und sich in ihrem Kopf herumstochern zu
lassen! Oder sich von Sarah bemuttern zu lassen! Unerträglich.
Höchste Zeit, endlich herauszufinden, wieviel sie eigentlich
geerbt hatte. Eine ganze Menge. Und wenn das Haus verkauft
wurde, wollte sie nichts davon hören, daß irgendwelche
anderen Leute das Geld für sie anlegten. Sie war es einfach
leid, sich ständig mit diesem Jammerlappen herumzuärgern,
der nichts anderes herausbrachte als »Ja, Sarah. Nein, Sarah.
Ganz wie du meinst, Sarah.«
Unten an der Treppe stieß ihr Fuß an etwas Weiches,
Matschiges. Sie blickte herab. Das leblose Auge eines Huhnes
starrte sie an. Am Schädel klebten ein paar zerzauste Federn,
und der abgeschnittene Hals war mit eingetrocknetem Blut
verkrustet.
Draußen hörten Bic und Opal die ersten Schreie. Bic
lächelte. »Klingt das nicht vertraut?« Er drehte den Schlüssel
im Zündschloß und flüsterte: »Aber jetzt möchte ich sie gern
trösten.«
Sarahs Sekretärin eilte in den Gerichtssaal, als die
Geschworenen gerade hereinkamen. Sarahs Herz schlug wild,
als der Richter fragte: »Herr Vorsitzender, haben die
Geschworenen sich auf einen Spruch geeinigt?«
»Ja, das haben wir, Euer Ehren.«
Jetzt kommt’s, dachte Sarah, die am Tisch der
Anklagevertretung stand, mit Blick auf die Richterbank. Sie
spürte ein Zupfen an ihrem Arm, und als sie sich umdrehte, sah
sie ihre Sekretärin Janet hinter sich stehen.
»Jetzt nicht«, sagte sie entschieden, überrascht darüber, daß
Janet sie während der Verkündung eines Schuldspruchs störte.
»Sarah, es tut mir furchtbar leid. Da war ein Anruf - ein Dr.
Carpenter hat Ihre Schwester in die Notaufnahme des
Krankenhauses von Hackensack gebracht. Sie steht unter
Schock.«
Sarahs Finger krampften sich so um den Kugelschreiber, den
sie in der Hand hielt, daß ihre Knöchel weiß hervortraten. Der
Richter sah sie sichtlich verärgert an. Sie flüsterte: »Sagen Sie
ihm, ich komme in ein paar Minuten.«
»Die Anklage lautete auf Mord. Wie haben Sie entschieden:
schuldig oder nicht schuldig?«
»Schuldig, Euer Ehren.«
»Das ist nicht fair!« tönte es von der Familie und den
Freunden James Parkers. Der Richter schlug mit dem Hammer
auf sein Pult und verbat sich weitere Störungen.
Dann vergewisserte er sich durch Befragung der
Geschworenen, daß es sich um einen einstimmigen Spruch
handelte.
Anschließend wurde die Bestellung einer Kaution für James
Parker abgelehnt und ein Termin für die Urteilsverkündung
festgesetzt, worauf man ihn in Handschellen abführte. Das
Gericht vertagte sich. Sarah hatte keine Zeit, ihren Sieg
auszukosten. Janet erwartete sie bereits im Korridor, ihren
Mantel und ihre Schultertasche in den Händen.
Dr. Carpenter erwartete sie in der Notaufnahme und erklärte ihr
in kurzen Worten, was vorgefallen war. »Laurie hatte sich
gerade von mir verabschiedet. Kurz darauf hörte ich sie
draußen schreien. Als wir zu ihr kamen, war sie in Ohnmacht
gefallen. Sie steht unter extremem Schock, kommt aber gerade
wieder zu sich.«
»Was ist denn passiert?« Sarah traten heiße Tränen aus den
Augen. Carpenter hatte etwas an sich, das sie an ihren Vater
erinnerte. Wenn er jetzt nur bei ihr gewesen wäre.
»Sie ist offensichtlich auf einen abgeschnittenen Hühnerkopf
getreten, hat einen hysterischen Anfall bekommen und dann
einen Schock erlitten.«
»Ein Hühnerkopf! Im Vorraum Ihrer Praxis!«
»Ja. Ich habe einen Patienten, der unter erheblichen
Bewußtseinsstörungen leidet und mit einem Voodoo-Kult zu
tun hat. Ich kann mir gut vorstellen, daß er so etwas getan hat.
Hat Laurie ungewöhnliche Angst vor Hühnern oder Mäusen
oder sonstigen Tieren?«
»Nein. Sie ißt nur kein Hühnerfleisch. Sie ekelt sich davor.«
Eine Schwester kam hinter einem Vorhang hervor. »Sie
dürfen jetzt zu ihr.«
Laurie lag reglos mit geschlossenen Augen da. Sarah
berührte ihre Hand.
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