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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
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nach Weihrauch, es roch nach Harn und Parfüm, und es roch auch nach Fisch, und wenn er die Augen länger zusammendrückte, sah er Polypen und Sardellen. Er bekreuzigte sich, wobei ihm auffiel, daß er die Kreuzbalken auf griechische Art von der Stirn zum Bauch und von der linken Schulter zur rechten Schulter schlug.
    Als er aus der Basilika heraustrat, hörte er Schreie, keine Schmerzensschreie, eher eine Art von lustvollem Keifen und Gejaule, das Geschrei kam von der Stirnseite des Platzes her, der linkerhand ein Seitenschiff der Kirche flankierte, mitten an diesem späten Morgen schlug eine junge Frau mit einer Handtasche auf einen graubärtigen Betrunkenen ein, der um sie herumtanzte, ein schwerfälliger Mann in Jeans und Pullover mit einer wollenen Mütze, der ungeachtet der klatschenden Schläge die Hände der Frau mit tapsigen Gebärden einzufangen versuchte und dabei Küsse in die Luft schmatzte. Die Frau schien in diese Luftküsse hineinzuschlagen, aber im nächsten Moment warf sie sich mit ausgebreiteten Armen dem torkelnden Alten an den Hals und schmiegte und wiegte sich in seine Umklammerung, bis sie ihm ein hochgezogenes Knie zwischen die Schenkel stieß, worauf das Gerangel erneut mit Knurren und Gurren weiterging.
    Lukas kehrte nicht auf dem Quaderweg zurück, sondern auf der Autostraße, die in betonierten Windungen den bewaldeten Hang hinunter zur Stadt führte, aber schon nach wenigen hundert Metern entschied er sich, durch das schütter von Pinien bestandene Waldstück kreuz und quer hinunterzusteigen; in dem welkgefrorenen Gras staken zwischen den Bäumen kleinere und größere weiße Karststeine, auf deren glatt behauenen Vorderseiten Namen gemeißelt waren, fast immer ein einziger Vor- und Nachname, auch die Wörter Patriot und Medaille las er oft; wie vom Himmel gefallene riesige Hagelgeschosse hatten sich die Erinnerungssteine von Ermordeten, Erschossenen, Erstochenen, Gefallenen in das vergilbende, vom Winter überraschte Picknickgras gebohrt.
    Plötzlich fing Lukas leise zu knurren an, Gefahr witternd und Witterung nehmend begann er kläffende Laute von sich zu geben und bellte, als ob er sich die Stadt vom Halse halten müßte, der Boxer stand mit zerdrückter Schnauze kaum zwei Meter entfernt, stand vor ihm aufgepflanzt und knurrte ihn mit polizeilicher Arroganz an. Lukas öffnete vorsichtig den Reißverschluß seiner Hose. Es kostete ihn einige Konzentration, aber schließlich gelang es ihm, einen Harnstrahl in die Richtung des kläffenden Köters abzusetzen, der jedoch, statt zu flüchten, interessiert im Gras schnüffelte.
    Hätte ich einen unempfindlichen Fuß gehabt, wäre ich gern bloßfüßig den Hügel hinunter bis ins Stadtzentrum gesprungen, und weiter zum Industriehafen.
    Mehrmals rief Lukas die Nummer an, die auf dem weißen Billett stand, bis er endlich die Auskunft erhielt, er solle beim Windbrunnen warten, dort werde er das Fräulein treffen. Er wollte die Stunde wissen, aber die unfreundliche Stimme ließ sich auf kein Fragen ein.
    Vielleicht, fragte er, vielleicht wird mit Johanna alles anders, wenn wir uns berühren, und er lehnte sich an die Mauer des Rathauses, vor dem der Brunnen der vier Winde erbaut worden war. Ich sah, daß sie sich nicht wehren wollte, ich sah zwar das Zögern, aber ich sah auch dieses langsame Vergrößern ihres Mundes, sie öffnete ihre Lippen und ließ zu, daß ich mein Gesicht dem ihren näherte.
    Es war derselbe Platz, auf dem sie an vaterländischen Tagen bei ruhigem oder stürmischem Wetter die Nationalflagge aufzogen, Lukas hatte den Brunnen der vier Winde auf Rufnähe vor sich, einen Zuckerberg, an dem alle Wetter nagten und in den sich der Smog festgefressen hatte, so daß Fischmaul und Faunfratze trotz verschiedener Windrichtungen gleichermaßen verbraucht und moribund wirkten, die Windfiguren mit abgeflachten leprösen Steinnasen. Lukas hatte jede Bewegung, jede sich nähernde Person im Blick, er beobachtete Schritte, die sich verzögerten, beim Brunnenrand verhielten, Köpfe, die sich drehten, im Vorbeigehen sich umwandten, hinaufblickten zu einem steinernen Fuß, einer Hand, er lernte die Stille der Menschen kennen, ihre Hilflosigkeit vor dem Ausdruck eines Steines, manchmal berührte einer den Brunnenrand oder eine Hand prüfte die Dichte der Eiskruste, womit sich das Becken verglast hatte.

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