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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
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Johannas Gesicht tauchte nicht auf. Er löste sich von der Mauer, umrundete das rankenartig geschwungene Becken, im Kreise laufend konnte er sie übersehen haben, beruhigte er sich.
    Wenn seine Fingernägel etwas getaugt hätten, wäre er in die Knie gesunken und hätte mit den Fingernägeln im Asphalt zu kratzen begonnen, irgendein Zeichen hätte er gern hinterlassen.
    Er rief von der Telefonkabine am Platz noch einmal die Nummer an, aber es meldete sich niemand, wie lange er es auch läuten ließ. Er hauchte ein Kabinenfenster grau an und zeichnete ein Messer hinein. Neben dem Rathauseingang hatten Demonstranten einen Turm aus Pappendeckelschachteln aufgebaut und mit Slogans, Anklagen, Forderungen in Schwarz, Rot und Blau bemalt und mit Klebestreifen zusammengefügt, aber kaum kam wieder Wind auf, flogen einige Kartons über den Platz, Buben rannten dahinter her, fingen sie ein und warfen sie in die Luft, kickten sie vor sich hin, er hörte das dumpfe Einschlagen der Schuhe. Rund um den Kartonturm hatten sich Neugierige gesammelt, denen der Wind die aufgemalten Kartonsätze jäh aus den Blicken riß, und einige Gaffer schienen nur darauf zu warten, daß der nächste Windstoß den Schachtelberg endgültig auseinanderfegte, sie schauten den davonsegelnden Slogans nach, die unter die Füße der Kinder gerieten oder unter die Füße von Gegendemonstranten. Ein Junge lief einer Protestschachtel nach und wurde von zwei, drei Männern umringt und zu Boden gedrückt, Lukas sah, wie sie die Schachtel platt traten und den Karton auf den liegenden Jungenbauch warfen. Lukas bog in eine der Seitengassen des Platzes ein, er beneidete den zusammengekrümmten Jungen am Boden. Verwundert blieb er vor einem reichverzierten Portal stehen und betrachtete lange eine halbierte Säule, die aussah, als hätte man, mehrfach vergrößert, ein Schienbein aufgestellt. Er schlug den Mantelkragen hoch, ein eisiger Wind drang unter die Schöße seines Trenchcoats. An einer Mauer hing, von einem Plastikwindfang notdürftig geschützt, ein Telefonapparat, und Lukas warf, ohne zu überlegen, schnell ein paar Münzen ein und wählte Livias Nummer. Im Kopf hörte er, als er den Hörer in der Hand hielt, unentwegt Sätze, aber als das Freizeichen ertönte, legte er augenblicklich auf und die Sätze verstummten. In einer Bar bestellte er einen Pfefferminztee und einen Grappa, neben ihm empörte sich ein älterer Mann lauthals über die regelmäßigen Verspätungen bei der Eisenbahn und der Postzustellung, nie sei dieser Staat so im Arsch gewesen wie jetzt, nicht einmal unter den Faschisten. Er fixierte Lukas, dem der Barkeeper den Schnaps hinschob, und Lukas machte es nervös, daß der Mann offensichtlich von ihm eine Antwort erwartete, immer wieder seinen Hut lüpfte und mit der anderen Hand über den Kopf schabte und dann seine blutverschmierten Fingerkuppen herzeigte. Es war der erste Mensch an diesem Tag, in dessen Hand Lukas hätte hineinbeißen mögen, aber er trank mit einem Zug das Gläschen Grappa aus, warf auch Geld für den Minzentee auf die Theke und rannte wortlos hinaus.
    Draußen sah er plötzlich die vielen hohen Fenster der Häuser, immer mehr von diesen hohen, weiten Fenstern, und doch war alles nachgemacht und schien zu verkommen mit dem Gleichmut alter Huren, nirgendwo anders waren die Fenster so groß und licht. An einem der letzten Sommertage mit Livia hatte er nach dem gebleichten Kieferknochen auf dem Bücherregal gelangt, den er einmal zwischen den Steinen am Meer gefunden hatte, er ließ den Knochen auf den Teppich fallen, bückte sich und bekam ihn wieder zu fassen, mit dem Kieferknochen ging er auf sie zu, beide Hände seitlich weggestreckt, auch die Hand mit dem Knochen, und als er die Schweißflecken auf ihrer weißen Bluse sah, stieg er auf das Bett, Livia stopfte ihm zulächelnd einen Zipfel der Leinenbluse hinter das Gummiband ihres Slips und erwartete ihn mit leicht zur Seite geneigtem Kopf und einem Anflug von Spott um den Mund.
    Mehrmals, immer wieder kehrte Lukas zum Brunnen zurück, die Pappschachteln waren weggeräumt und die weißen zusammengeklappten Stühle vor dem Promenaden-Café übereinandergetürmt und mit Ketten gesichert. Ich bin ein Wächter geworden, tatsächlich ein Wächter. Im Café suchte sich Lukas einen Sessel mit Blick auf den Brunnen und

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