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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
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beschnittenen Bäume verstellten den Weg, elefantenrüssellang verspießten sich die abgesägten Baumarme der Platanen, Akazien und Kastanien mit ihren weißen und gelben Schnittwunden ineinander. Lukas stieg über sie hinweg und verlangsamte den Schritt auch nicht rund um den schwarzen Ententeich, nicht vor dem ins Gefieder gesenkten Hals des Schwans und auch nicht vor den Köpfen der versteinerten Dichter und Patrioten, das Laub klebte auf seiner Haut, schien ihm, und erst auf dem Kies des leeren Platzes vor dem Musikpavillon glaubte er wieder aufatmen zu können. Er setzte sich auf eine der nassen Bänke und starrte eine Weile auf die Musikbühne, er hätte gerne die Leichtigkeit des Gehens gelernt, die Heiterkeit des Schauens und die Fähigkeit, jederzeit unauffällig die Augen zu schließen. Nicht weit von ihm standen dicht nebeneinander eine geschlossene Gelateria und die versperrte Bretterbude eines Würstelstands, er versuchte mit Kieselsteinen das Reklameschild einer rauchenden Wurst zu treffen.
    Ich verlasse den Park, es gibt keine andere Fluchtmöglichkeit, ich kann nur die Straße überqueren, und dann steige ich eine Gasse hinauf, sie ist mir irgendwie vertraut, vertraut von irgendeiner Nacht, ich weiß nicht, mir kommen die Eingangstüren bekannt vor, ich beginne die Namensschilder zu lesen. Wohin gehst du? hat mich Livia schon seit langem nicht mehr gefragt, ich muß keine Ausreden mehr erfinden. Abgeschirmt von Blicken stand er in einem Stiegenhaus ohne Aufzug, die Türen rochen nach Schuhcreme und gerösteten Zwiebeln und auch nach Spaghettisauce. Er nahm zögernd eine Stufe nach der anderen, ein großer Lichtschacht bildete den Hinterhof, in den alle Gerüche und Stimmen hineinfielen, Lukas hörte die hallenden Schreie einer Betrunkenen und keuchende Baßtöne eines Kranken oder Alten, das Singen einer Radiostimme. Einmal streifte er mit dem Finger eine der Flügeltüren, die sich dunkel lackiert vom Grauweiß der Stiegenwände abhoben und fast demonstrativ verschlossen wirkten, obwohl ihm vorkam, dahinter lehnten Menschenkörper, die er fühlte, und tatsächlich glaubte er geraunte und gezischelte Laute zu hören, die ihm gelten mußten und die ihn gurrend und knurrend von Treppe zu Treppe hinauf begleiteten, gerade so, als würde das Holz der Türen immer dünner und dünner werden und im nächsten Augenblick sogar zerbersten.
    Im Wohnungsflur richteten sich aus Hunderten kleiner Vierecke unbekannte Augen auf ihn, statt einer Tapete verdunkelten Fotos die Wände, bis zur Decke hinauf, er wollte stehenbleiben oder doch den Schritt verzögern, aber die gedrungene Frau, die ihm kaum ans Kinn reichte, faßte seine Hand und zwickte ihn, worauf er sich widerspruchslos in dieses muffige Quadratzimmer ziehen ließ, an dessen einzigem Fenster die bodenlangen Vorhänge nur handbreit auseinandergezurrt waren. Auch hier hingen an allen Wänden Fotos, und der Fußboden war bedeckt von einer Schicht Zeitungen und Schachteln, durch die Laufgräben wie geschaufelte Schneewege zu einem riesigen Bett führten. Darin lag ein Mann auf dicken Polstern, die bleichen Arme über der Decke, eine Hand hielt ein Briefkuvert, die andere fuhr sehr langsam darüber hin, kreiste darüber, stieß nieder und flog wieder auf. Die Unterlippe des Mannes klaffte herab, und das geschlitzte Blinzeln der Augen war offensichtlich nur seine Reaktion auf das Zwielicht im Zimmer. Unwillkürlich wandte sich Lukas von dem Bett ab und der gegenüber liegenden Ecke zu, die bis zur Brusthöhe ausgefüllt war von einem Fernsehtisch und dem darauf stehenden Apparat. Er hörte den Mann einen Gruß schreien, aber als er sich umwandte, malte der Dicklippige unbeirrt das Viereck eines Briefumschlages aus. Lukas lachte stumm und rief ihm Guten Tag zu, er war entschlossen, wenigstens einen ganzen Morgen oder auch bis zum Abend in einem Winkel dieser Wohnung durchzustehen. Unter den Wandfotos hatte er ein Reiterbild entdeckt, ein Mädchen mit wehenden, zurückgeworfenen Haaren auf einem galoppierenden Pferd, ein Mädchen in den Bügeln stehend, nur leicht über die Mähne gebeugt: wie Johanna als fliehendes Kind auf einer Wiese.
    Sie kommen also nicht mehr zur Basilika herauf, sagte der Mann und verdeckte mit dem Briefkuvert ein Auge, während er ihn mit dem anderen anstarrte, so wie er ihn angestarrt hatte beim

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