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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
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Regen. Ein alter Mann reckte seinen Kopf aus einem Fenster und zwinkerte mit den Augen, als ihre Blicke sich begegneten, stumm fuhr er mit einer Hand durch die Luft, während Lukas aus der Nähe seinen Namen rufen hörte. Gianna kauerte halb verdeckt hinter dem Quadereck eines Triumphbogens, der mit einer Säule in die Fassade eines Hauses der Jahrhundertwende hineingewachsen schien, und beobachtete einige um sie herumstreichende Katzen. Sie richtete sich auf, während er den Platz überquerte, schüttelte die Hände in den Gelenken, als ob sie Futterreste von den Fingern schütteln müßte; ohne Lächeln im Gesicht streckte sie die Arme von sich, als er nur mehr einige Schritte von ihr entfernt war, und ließ sie wieder sinken, als ihre Schläfen sich streiften, er spürte, wie Gianna die Arme hob und sie um seine Schultern legte, er spürte ihre Haare an seiner Wange und ihre Nase an seinem Hals, er spürte ihre Hände, die ihn preßten, eine Weile verharrten sie so unter dem Triumphbogen, hinter dem Stufen hinaufführten zu einer Gasse, an deren Anfang ein gelber Holzpfeil die Richtung zur Basilika anzeigte. Lukas fuhr mit einem Finger durch Giannas Haar und über ihre Wimpern, er zog ihr Gesicht dicht an seine Augen heran, und sie wich nicht zurück, er wußte, daß sie lachte, daß ein lautloses Lachen ihren Mund füllte. Atemwärme schlug ihm entgegen, sie küßte ihn, schob sein Gesicht, die Hände um seinen Hals, von sich weg und folgte ihm mit dem Mund, er hatte die Augen geöffnet und ihr Kopf legte sich auf seine Schulter, er fühlte die Atemstöße an seinem Hals, er wollte sie fragen, sie aber löste ihre Arme von ihm, hob den Kopf und sagte: Gehen wir zum Meer hinunter?
    Er geht neben ihr her, er lauscht ihren Worten, horcht, ob Freude herausklingt. Sie habe, sagt sie, es gestern nicht verhindern können, sie wisse selbst nicht warum, auch wenn sie fühle, daß sie es hätte verhindern müssen.
    Ich bin hungrig, ruft sie unmittelbar darauf, bleibt stehen und reibt mit einer Faust über seine Stirn. Und wenn ich hungrig bin, sagt sie, kann ich nicht mehr denken.
    Er knöpft seinen Mantel auf, öffnet ihn weit, so daß Gianna auch Nierenschläge anbringen und er die Reversklappen an ihre Ohren drükken könnte. Sie wüßte eine Glasveranda am Kai, sagt sie, aber um noch so weit zu gehen, sei sie zu hungrig, und außerdem kenne sie gleich in der Nähe ein gutes Fischlokal. Sie zieht ihn in eine Nebengasse hinein, bis zu einem gemalten Restaurantschild. Er schaut auf Giannas Lederjacke, während sie vor ihm die zwei Stufen hinuntersteigt, er sieht auch ihre schwarzsamtene Hose, die sich keilförmig nach unten verengt und in weichledrigen Stiefeletten steckt, aber er bemerkt erst jetzt das gekräuselte, hellblonde Haar, eine Perücke, die der Luftstoß der zuschnappenden Tür ein wenig belebt mit einem unmerklichen Durcheinanderwehen der ausgebürsteten Locken, während Gianna in das Halbdunkel des gewölbten Lokals tritt, in dem auch zu Mittag die Tischlampen angeschaltet sind; in dieser Minute, in der sie zwischen den leeren, mit weißen Tüchern bedeckten Tischen herumstehen und sich noch nicht für einen Platz entschieden haben, denkt Lukas, du ängstigst mich nicht, ich könnte dich lieben. Und obwohl er stumm geblieben ist, dreht sich Gianna um und sagt, langweilt es dich, daß wir allein sind? Er kann sie nicht umarmen, er kann sich nicht über ihre Augen beugen, die groß sind wie weiße geschälte Äpfel mit einem blauen emaillierten Kern, sie trägt Linsen, denkt er, vielleicht zerfließen ihr die Konturen der Dinge schon in kurzer Entfernung. Er lächelt Gianna zu und setzt sich wie zur Antwort an einen Tisch, er sitzt neben ihr, wie er immer neben Livia gesessen hat, er nimmt eine Speisekarte, um sie weiterzureichen an sie, die ihren Stuhl ein wenig heranrückt, so daß er mit ihr zusammen die Liste der Speisen durchgehen könnte, aber er greift sich eine eigene Menükarte und überfliegt die Speisen allein, blickt zwischendurch auf Gianna und sieht auch die Plastikrosen auf den Tischen, er faßt mit zwei Fingerspitzen das Blütenblatt einer wasserblauen Rose, während Gianna ihm mit verschmitzter Neugier zuschaut. Sie sitzen in einer Ecke, Lukas hat eine dunkelgetäfelte Wand hinter sich, Gianna ein Fenster, dessen Läden zur

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