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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
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setzte sich an den Tisch vor dem offenen Fenster zum Hinterhof, als ob er seit je hier her gehört hätte.
    Ohne die Frau anzublicken, die auf der anderen Seite in sanften Stößen den Bauch gegen die Tischkante drückte, trank er in kleinen Schlukken den bitteren schwarzen Kaffee, neinnein, sagte er, als sie ihm das Zuckerfaß hinschob, zwei-, dreimal schenkte er sich die Tasse voll, und jedesmal mußte er Margaritas Hand mit der Kanne abwehren, um selbst den Henkel anfassen und sich bedienen zu können. Mit wachsendem Appetit zerkaute er die Semmeln, die sie ihm mit Butter und Honig bestrich, er sah ihr dabei verwundert zu, nahm sich zwischendurch mit den Fingern Wurstscheiben und Käsestücke und schob sie sich in den Mund. Neben dem Fenster hing ein postkartengroßes Foto: im Sattel eines galoppierenden Pferdes ein Mädchen mit fliegenden Haaren. Er schaute auf das Foto, als ob er es schon immer gesehen hätte, hier, neben dem offenen Fenster, das auf einen Hinterhof ging, in den Stimmen fielen, wie zum Fenster hinausgeworfener Abfall oder wie heraufflatternde schwarze Vögel. Er wußte, daß ihn die Frau beobachtete, aus dem Augenwinkel sah er das geschminkte Gesicht schrumpfen und Puder auf den roten Seidenärmel stauben.
    Wo ist Gianna, fragte er, stand auf vom Stuhl, ging um den Tisch herum und nahm die alte Frau in die Arme, drückte sie sachte an seinen Körper, wobei ihre Perücke nach hinten verrutschte, weil Lukas eine Hand auf die Locken über dem Nacken gelegt hatte. Das Gesicht der Alten verzerrte sich zu einem Lachen, sie betet, sagte sie, sie betet für dich, geh hinauf zur Basilika, vielleicht findest du sie in einem Beichtstuhl, und Margarita lachte und lachte ihren Atem in sein Gesicht, ein kreidiges, keuchendes Gelächter, das ihn reizte, ihn beleidigte, so daß er seine Finger in die falschen blonden Locken krallte und mit einem Ruck in die Höhe riß, die Perücke blaffte zu Boden, aber die Frau stieß ihn nicht von sich, im Gegenteil, sie hängte sich an seinen Hals, sog seinen Mund an ihren Mund und öffnete ihn, es gelang ihr, seine Lippen mit der Zungenspitze zu öffnen und ihren Speichel über seine Zunge zu verlecken. Er stieß die auf seinen Schuhspitzen Stehende mit dem Oberschenkel gegen den Tisch, hörte das Fallen und Zerbrechen einer Schale oder eines Tellers und ein metallenes Aufschlagen, durch das Hoffenster einen jaulenden Schrei.
    Auf der Straße preßte er den Mund gegen die regennasse Rinde eines Alleebaumes, er wollte die Lippen wundreiben, aber neben ihm hielt vor einer Verkehrsampel ein Auto, er hätte gerne seine Zunge an der Platane geschält. Ich habe kein Geld genommen, und bin doch bezahlt, er ging schneller auf die enger werdenden Gassen zu, in die jetzt spärlich die milchigen Sonnenstrahlen fielen, er verlangsamte seinen Schritt, legte die Handflächen an die Mauern: alles war wirklich, die Fenster hatte man teils eingeschlagen, teils mit Brettern vernagelt, es gab zugemauerte Fenster und vergitterte Fenster; hinter einer Glasscheibe hing ein zerschlissener roter Vorhang, manchmal war eine Mauer eingestürzt, da und dort klafften riesige Löcher und zeigten ihre Eingeweide: Klomuscheln, rostige Öfen, Bettgestelle, aufgeschlitzte Matratzen, gefleckte Katzen schlichen träge in den Ruinen herum oder fläzten sich in einem trockenen Sonnenfleck. Am Fuße einer geborstenen Hausfassade wuchs ein Feigenbaum, in dessen verschlungenen Ästen sich ein orangenes Plastikrohr und das Gestell eines Kinderfahrrades verfangen hatten. Lukas wußte nicht mehr, ob er sich nach Johanna sehnte, es reizte ihn aber, laut vor sich herzusagen: Livia ist mir gleichgültig. Und erst da fühlte er, wie sehr er sie brauchte, weil er abhängig war von ihrer Bereitschaft, ihn und seine Enttäuschung, auch seine Täuschungen, als selbstverständlich hinzunehmen.
    Sie will mit mir zu Ende leben, während ich mir ein Ende mit ihr nie habe vorstellen mögen, sondern immer auf irgendeinen anderen Anfang vorbereitet war.
    Am Ende der Gasse stand Lukas, gleichsam heraustauchend aus einem Tunnel, vor einem verwinkelten kleinen Platz, auf den noch drei oder vier andere Gassen mündeten. Hier leben wieder Menschen, sagte er und sah zu den Fenstern der Häuser hinauf, deren Scheiben in der Sonne schimmerten, die grünen Läden waren fast überall aufgeklappt, frisch gewaschen vom

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