Daughter of Smoke and Bone
lächelte süß und ließ die Kette mit den übrig gebliebenen Perlen vor seinen Augen baumeln. Jetzt erinnerte sie mehr an ein Armband.
Wie bei Kaz hatte sie den Mann mit einem intimen Juckreiz bombardiert, bis er schließlich aus dem Raum geflohen war. Bestimmt wusste Brimstone darüber längst Bescheid, er wusste ja immer Bescheid. Es wäre nett, dachte sie, wenn er sich bedanken würde. Stattdessen knallte er bloß eine Münze auf den Tisch.
Einen mickrigen Shing.
»Das war’s? Ich hab die Dinger für dich durch Paris geschleppt und kriege einen
Shing
, während der Bärtige zwei Gavriels absahnt?«
Brimstone ignorierte sie und wickelte die Stoßzähne aus. Twiga kam, um etwas mit ihm zu besprechen, und sie unterhielten sich leise in ihrer eigenen Sprache, die Karou auf ganz natürliche Weise von Kindesbeinen an gelernt hatte, nicht weil sie es wollte, sondern einfach vom Zuhören. Es war eine raue Sprache, voller knurrender Laute, die tief aus der Kehle kamen. Im Vergleich dazu klangen sogar Deutsch und Hebräisch melodiös.
Während die beiden über die Verarbeitung der Zähne redeten, nahm Karou sich die Scuppy-Teetassen vor und erweiterte ihre Kette aus so gut wie nutzlosen Wünschen zu einem Armband, das sie sich mehrfach ums Handgelenk schlang. Twiga schleppte die Stoßzähne an seinen Arbeitsplatz, um sie zu putzen, und Karou überlegte, nach Hause zu gehen.
Nach Hause.
In ihren Gedanken waren die Worte immer in Anführungszeichen gesetzt. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, ihre Wohnung gemütlich einzurichten, mit ihrer Malerei und Büchern, mit schön verzierten Laternen, einem Perserteppich, der so weich war wie Luchsfell, und natürlich ihren Engelsflügeln, die eine ganze Wand einnahmen. Aber all das konnte nichts ausrichten gegen die grundlegende Leere; die Luft schien drückend, weil nur ihr eigener Atem sie bewegte. Wenn sie allein war, schien das Gefühl in ihrem Inneren, die
Unvollständigkeit
, wie sie es nannte, noch anzuschwellen. Selbst Kaz’ Nähe hatte geholfen, das Gefühl in Schach zu halten, aber nicht genug. Nie genug.
Sie dachte an das kleine Bett, in dem sie als Kind geschlafen hatte, hinter den hohen Regalen im rückwärtigen Teil des Ladens versteckt, und wünschte sich plötzlich, heute Nacht hierbleiben zu können. Sie könnte sich wie früher von den vertrauten Geräuschen einlullen lassen, von den flüsternden Stimmen, dem leisen Geräusch von Issas über den Boden gleitendem Körper und dem Kratzen der kleinen Wesen, die in den Schatten herumhuschten.
»Süße.« Yasri kam mit einem Tablett aus der Küche geeilt. Neben der Teekanne stand ein Teller mit Vanillehörnchen, ihrer Spezialität. »Du hast bestimmt Hunger«, sagte sie mit ihrer papageienartigen Stimme. Mit einem Seitenblick auf Brimstone fügte sie hinzu: »Für ein heranwachsendes Mädchen ist es nicht gesund, ständig von jetzt auf gleich in der Welt hin und her zu rennen.«
»Fräulein Hin-und-her, das bin ich.« Karou nahm sich eins der Gebäckstücke und fläzte sich auf ihren Stuhl, während sie es genüsslich vertilgte.
Brimstone ersparte ihr einen tadelnden Blick, sagte aber zu Yasri: »Ist es vielleicht gesund, wenn ein heranwachsendes Mädchen sich von Gebäck ernährt?«
Yasri gab ein missbilligendes Geräusch von sich. »Ich würde ihr gerne ein richtiges Essen kochen, wenn du mir je rechtzeitig Bescheid geben würdest, du alter Grobian.« Sie wandte sich Karou zu. »Du bist zu dünn, mein Schatz. Das ist nicht gut.«
»Mhm«, stimmte Issa zu und streichelte Karous Haare. »Sie könnte gut eine Leopardin sein, findest du nicht? Geschmeidig und faul, aber nicht zu mager. Ein wohlgenährtes Leopardenmädchen, das sich die Sonne auf den Pelz scheinen lässt und eine Schüssel Sahne ausschleckt.«
Karou lächelte und aß weiter. Yasri goss ihnen allen Tee ein und gab vier Stücke Würfelzucker in Brimstones Tasse. Nach all den Jahren fand Karou es immer noch lustig, dass der Wunschhändler eine solch ausgeprägte Vorliebe für Süßes hatte. Während sie ihren Tee schlürfte, sah sie ihm bei seiner endlosen Arbeit zu, Zähne zu Ketten zusammenzuschnüren.
»Oryx leucoryx«, identifizierte sie den nächsten Zahn, den er aus seiner Sammlung herausnahm.
Er war unbeeindruckt. »Antilopen sind kinderleicht.«
»Dann gib mir einen schweren.«
Er legte ihr einen Haizahn in die Hand, und Karou musste an die langen Stunden denken, die sie als Kind mit ihm hier gesessen und Zähne gelernt hatte.
Weitere Kostenlose Bücher