Daughter of Smoke and Bone
ihrem Arm und ihrem Schlüsselbein. Schnittwunden, die ihren vernarbten Schusswunden Gesellschaft leisten würden. Sie hatte Durst und wusste, dass sie nur den Mund aufmachen brauchte, um Yasri mit einem Glas Wasser an ihr Bett zu bringen und ihre tröstende Hand zu spüren, aber sie blieb still. Es gab zu viel, worüber sie nachdenken musste.
Yasri hatte gesagt: »Sie können doch unmöglich über sie Bescheid wissen.«
Was
konnten sie nicht wissen?
Diese Geheimnistuerei machte sie verrückt. Sie wollte sich aufsetzen und schreien: »Wer bin ich?« Aber sie tat es nicht. Sie stellte sich schlafend, weil noch ein anderer Gedanke sie beschäftigte.
Brimstone war nicht hier.
Sonst war er
immer
hier. Sie war nie in den Laden eingelassen worden, wenn er nicht da war, und diesmal hatte es nur eine Ausnahme gegeben, weil sie halbtot vor der Tür aufgetaucht war.
Das war die Gelegenheit.
Karou wartete, bis sie hörte, wie Yasri und Issa sich entfernten, und linste vorsichtig zwischen den Augenlidern hervor, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich weg waren. Sobald sie aufstand, würden die Federn ihres Bettes quietschen und sie verraten, also griff sie nach dem Scuppie-Band an ihrem Handgelenk.
Es gab doch wieder einen Nutzen, für die beinahe nutzlosen Wünsche: Man konnte knarzende Betten auf lautlos stellen.
Sie stand auf und schwankte einen Moment – alles drehte sich vor ihren Augen, ihre Wunden brannten –, doch dann fing sie sich wieder, ohne einen Mucks zu machen. Yasri und Issa hatten ihr Stiefel, Mantel und Pulli ausgezogen, so dass sie nur noch Bandagen, ein blutdurchtränktes Unterhemd und Jeans trug. Auf bloßen Füßen ging sie um zwei Vitrinen herum, blieb dann unter Schnüren mit Kamel- und Giraffenzähnen stehen, lauschte und spähte in den Laden.
Brimstones Tisch war dunkel, genau wie Twigas – kein Laternenlicht, das die Kolibrimotten anzog. Issa und Yasri waren in der Küche, außer Sicht, und der ganze Laden war in Finsternis gehüllt. Nur durch den Spalt der anderen Tür fiel ein Lichtschimmer.
Zum ersten Mal in Karous Leben stand sie offen.
Mit wild klopfendem Herzen ging sie darauf zu. Als ihre Hand den Türknauf berührte, hielt sie einen Moment inne, dann schob sie die Tür auf und spähte hinein.
Gefallen
Akiva fand Izîl hinter einem Müllberg auf dem Djemaa el-Fna zusammengekauert, immer noch mit seiner Kreatur auf dem Rücken. Ein Halbkreis verängstigter Menschen drängte sich um sie herum und kam bedrohlich näher, doch als Akiva sich mit einem gewaltigen Funkenschlag vom Himmel fallen ließ, stoben sie in alle Richtungen davon, kreischend wie Katzen, denen man auf den Schwanz getreten hatte.
Die Kreatur streckte die Hand nach Akiva aus. »Mein Bruder«, gurrte sie. »Ich wusste, dass du zurückkommen würdest.«
Akiva knirschte mit den Zähnen, aber er zwang sich, das Wesen genauer anzusehen. So aufgedunsen das Gesicht auch war, konnte man an den Zügen ein Echo verlorener Schönheit erkennen: Mandelaugen, eine fein geschwungene Nase und sinnliche Lippen, die in einem solch abscheulichen Gesicht grotesk wirkten. Doch der Schlüssel zu seiner wahren Herkunft lag an seinem Rücken. Aus den Schulterblättern ragten die zerfetzten Überreste von Flügeln hervor.
So unvorstellbar es auch sein mochte – das Wesen war ein Seraph. Einer der gefallenen Engel.
Akiva kannte die Geschichte als Legende und hatte sich nie gefragt, ob sie stimmte, nicht bis zu diesem Moment, in dem er den Beweis vor sich hatte. Den Beweis, dass es Seraphim gab, die wegen Hochverrats und Kollaboration mit dem Feind für immer in die Welt der Menschen verbannt worden waren. Hier war einer von ihnen, und tatsächlich war er sehr tief gefallen. Die Zeit hatte sein Rückgrat verbogen, und die Wirbelknochen bohrten sich durch seine straff gespannte Haut. Seine Beine baumelten nutzlos herab – das war nicht das Werk von Zeit, sondern von Gewalt. Sie waren mit grausamer Absicht zertrümmert worden, damit er nie wieder laufen konnte. Als wäre es nicht schon Strafe genug, dass seine Flügel ausgerissen worden waren – nicht abgeschnitten, sondern tatsächlich aus
gerissen
–, hatten sie auch noch seine Beine zerstört, so dass er wie ein Insekt auf dem Boden dieser fremden Welt herumkriechen musste.
Tausend Jahre hatte er in diesem qualvollen Zustand verbracht, und er war außer sich vor Freude, Akiva zu sehen.
Izîl war nicht so glücklich. Er hatte mehr Angst vor Akiva als vor dem aufgebrachten
Weitere Kostenlose Bücher