Daughter of Smoke and Bone
die sie ihm auf ihre sanfte, einfühlsame Art beigebracht hatte, zunichte gemacht hatte. Er hatte gedacht, dass jeder Funke von Barmherzigkeit in ihm erloschen wäre, doch er hatte das Mädchen nicht töten können. Und dann das völlig Unerwartete: die Hamsas.
Das menschliche Mädchen war mit den Teufelsaugen gebrandmarkt! Aber
warum
?
Auf diese Frage gab es nur eine mögliche Antwort, und sie war ebenso simpel wie verstörend.
Sie war eigentlich gar kein Mensch.
Die andere Tür
Im Flur fiel Karou auf die Knie und ließ sich schwer atmend gegen die Windungen in Issas Schlangenkörper sinken.
»Karou!« Issa zog sie in eine Umarmung, woraufhin sie beide mit klebrigem Blut bedeckt waren. »Was ist passiert? Wer hat dir das angetan?«
»Du hast ihn nicht gesehen?« Karou war wie betäubt.
»Wen gesehen?«
»Den Engel …«
Issas Reaktion war heftig und erschreckend: Sie bäumte sich auf wie eine Schlange vor dem tödlichen Biss und fauchte:
»Engel?«
Alle ihre Schlangen – in ihren Haaren, um ihre Taille und Schultern – schossen vor und zischten. Karou schrie vor Schmerz auf, denn die ruckartige Bewegung riss an ihren Wunden.
»Oh, mein liebes, mein süßes Mädchen. Vergib mir.« Issa besänftigte sich wieder und wiegte Karou wie ein Kind. »Was meinst du mit Engel? Doch bestimmt nicht …«
Karou blinzelte zu ihr hoch. Schatten zogen sich um sie zusammen. »Warum wollte er mich umbringen?«
»Schätzchen, Schätzchen«, murmelte Issa beruhigend. Sie zog Karou ihren zerfetzten Mantel und den Schal aus, um sich ihre Wunden anzusehen, aber das Blut floss noch immer, und das Licht in dem kleinen Vorraum war matt. »So viel Blut!«
Karou hatte das Gefühl, als würden die Wände langsam hin und her schwingen, und wartete darauf, dass die innere Tür sich öffnete. Aber nichts passierte. »Können wir nicht reingehen?« Ihre Stimme war schwach. »Ich will zu Brimstone.« Sie erinnerte sich daran, wie er sie in die Arme genommen hatte, als sie blutüberströmt aus St. Petersburg zurückgekommen war. Wie sicher und zuversichtlich sie sich gefühlt hatte, überzeugt, dass er sie heilen würde. Und das hatte er getan und würde es auch diesmal tun …
Issa knäuelte Karous blutdurchtränkten Schal zusammen und drückte ihn auf ihre Wunden. »Er ist gerade nicht hier, meine Süße.«
»Wo ist er denn?«
»Er … er darf nicht gestört werden.«
Karou wimmerte. Sie wollte Brimstone. Brauchte ihn. »Stör ihn trotzdem«, murmelte sie. Und dann spürte sie, wie die Finsternis sie umschloss.
Wie sie fiel.
Issas Stimme, weit weg.
Und dann nichts mehr.
Irgendwann später zeigten sich flackernde Bilder wie ein schlecht zusammengeschnittener Film: Issas und Yasris Augen, so nah, so besorgt. Weiche Hände, kühles Wasser. Träume: Izîl und das Wesen auf seinem Rücken, das aufgedunsene Gesicht braun-lila wie eine matschige Frucht, und die Augen des Engels, die sie anstarrten, als könnte sein Blick sie in Brand setzen.
Issas Stimme, geheimnisvoll flüsternd. »Was hat es zu bedeuten, dass sie in der Menschenwelt sind?«
Dann Yasri. »Sie müssen einen Weg zurückgefunden haben. So eingebildet, wie sie sind, haben sie dafür aber ganz schön lange gebraucht.«
Das war nicht Teil ihres Traums. Karou war wieder zu Bewusstsein gekommen, wie man an ein weit entferntes Ufer schwimmt – mühevoll –, und sie blieb ganz still und lauschte.
Sie lag in ihrem Kinderbett hinten im Laden; das wusste sie, ohne die Augen zu öffnen. Ihre Wunden brannten, und der Geruch von Heilkräutern hing schwer in der Luft. Die beiden Chimären standen am Ende der Reihe von Bücherregalen und tuschelten aufgeregt.
»Aber warum hat er Karou angegriffen?«, zischte Issa.
»Du denkst doch nicht …?«, erwiderte Yasri. »Sie können doch unmöglich über sie Bescheid wissen.«
Dann wieder Issa. »Natürlich nicht. Sei nicht albern.«
»Nein, nein, natürlich nicht.« Yasri seufzte. »Oh, ich wünschte, Brimstone würde zurückkommen. Meinst du, wir sollen ihn holen?«
»Du weißt, dass er nicht gestört werden darf. Aber es kann nicht mehr lange dauern.«
»Nein.«
Nach einer angespannten Pause meinte Issa: »Er wird sehr wütend sein.«
»Ja«, stimmte Yasri mit einem ängstliches Beben in der Stimme zu. »O ja.«
Karou spürte die Blicke der beiden Chimären auf sich und gab sich alle Mühe, bewusstlos auszusehen. Das war nicht allzu schwer. Sie fühlte sich geschwächt, dumpfe Schmerzen pochten in ihrer Brust,
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