DavBen-StaderDie
etwas für's Herz, keine Tamara Karsawina.«
»Da ist diese Vera, die auch in unserem Wohnblock lebt. Aber sie mag einen anderen.«
»Schön. Schritt Nummer eins, der andere interessiert uns nicht. Wir interessieren uns nur für Vera. Was ist so besonders an ihr? Warum magst du sie?«
»Keine Ahnung. Sie wohnt im gleichen Haus.«
»Das ist schon mal was. Was noch?«
»Sie spielt Cello.«
»Wunderbares Instrument. Welche Farbe haben ihre Augen?« »Keine Ahnung.«
»Dann magst du das Mädchen nicht. Wenn du nicht weißt, welche Farbe ihre Augen haben, dann magst du sie nicht.«
»Ich mag sie schon, aber sie macht sich nur was aus Grischa Antokolski, also was soll's?«
»Na schön«, sagte Kolja, voller Geduld mit seinem dummen Schüler, »du glaubst also, dass du sie magst, weil sie dich nicht mag. Das ist völlig verständlich, aber ich sage dir, du magst sie nicht. Vera können wir vergessen.«
Vera zu vergessen erschien mir nicht allzu schwer. Ich hatte die letzten drei Jahre damit verbracht, mir vorzustellen, wie sie wohl nackt aussah, aber nur, weil sie zwei Stockwerke unter mir wohnte und ich im Schwimmbad des Jugendzentrums einmal ihre Nippel gesehen hatte, als ihre Badeanzugträger verrutschten. Wenn Vera vor dem Eingangstor des Kirow nicht vor Angst hingefallen wäre, würde ich jetzt nicht mit einem geistesgestörten Deserteur durch die Straßen von Piter spazieren und Eier suchen. Sie hatte sich kein einziges Mal umgeblickt, als mich die Soldaten schnappten. Wahrscheinlich knutschte sie mit Gri scha in einem der dunklen Korri dore des Kirow, während ich im Kresty eingesperrt war.
»Die Tochter vom Oberst war hübsch. Die gefällt mir.«
Kolja sah mich kurz amüsiert an.
»Ja, die Tochter vom Oberst ist hübsch. Und mir gefällt dein Optimismus. Aber die ist nichts für dich.«
»Für dich auch nicht.«
»Da könntest du dich täuschen. Du hättest den Blick sehen sollen, den sie mir zugeworfen hat.«
Wir kamen an einer Gruppe von Jungen vorbei, die mit Trittleitern und Eimern voll Kalkmilch eifrig dabei waren, Straßenschilder und Hausnummern zu übermalen. Kolja blieb stehen und stierte sie an.
»He!«, brüllte er den am nächsten stehenden Jungen an, der so viele wärmende Schichten übereinander trug, dass man hätte meinen können, er sei dick, bis man sein eingefallenes Gesicht sah, die glänzenden schwarzen Augen über Schatten, so dunkel wie die eines alten Mannes. Nur wenige Kinder dieses Alters waren noch in der Stadt; die meisten waren bereits im September evakuiert worden. Die, die zurückblieben, waren meist sehr arm, viele davon Kriegswaisen ohne Familie im Osten.
»Was zum Teufel treibt ihr da?«, fragte Kolja. Er sah mich an, perplex über so viel Frechheit. »Die klei nen Scheißer verschandeln die g anze Straße. He! Du!«
»Lutsch mir den Schwanz und wünsch dir was«, sagte der schwarzäugige Junge und übermalte die Nummer auf der Tür des Uhrmacherladens.
Diese Aufforderung schien sogar Kolja aus der Fassung zu bringen. Er ging zu dem Jungen, packte ihn bei den Schultern und drehte ihn zu sich herum.
»Du sprichst mit einem Soldaten der Roten Armee, Bürschchen ...« »Kolja«, begann ich.
»Glaubst du, dass jetzt die Zeit für Streiche ist? Du und die anderen kleinen Zigeuner da lauft rum und ...«
»Nimm deine Pfoten weg«, sagte der Junge.
»Willst du mir drohen? Ich habe die letzten vier Monate gegen die Deutschen gekämpft, und du willst mir drohen?«
»Kolja«, sagte ich noch einmal, diesmal lauter. »Sie tun das auf Anweisung. Damit der Fritz nicht weiß, wo er ist, wenn er in die Stadt kommt.«
Kolja sah von dem schwarzäugigen Jungen zu den weiß getünchten Straßenschildern und dann zu mir.
»Woher weißt du das?«
»Weil ich das vor zwei Tagen selbst gemacht habe.«
Kolja ließ den Jungen los, der ihn noch einen Moment finster anstierte und dann wieder an die Arbeit ging.
»Eigentlich verdammt raffiniert«, sagte Kolja, und dann gingen wir weiter Richtung Heumarkt.
5
Wenn es etwas gab, was du kaufen, verkaufen oder tauschen wolltest, dann gingst du auf den Heumarkt. Vor dem Krieg galten die Verkaufsstände dort als Newski-Prospekt des armen Mannes. Nach Beginn der Blockade, als die eleganten Geschäfte eines nach dem anderen schlossen, als die Restaurants ihre Türen mit Ketten absperrten und die Metzger kein Fleisch mehr in ihren Schubfächern hatten, da florierte der Heumarkt. Die Ehefrauen von Generälen tauschten ihre Bernsteinketten
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