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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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nichts, was auch nur im Entferntesten nach Geld aussah. Kolja seufzte und wandte sich an den Verkäufer.
    »Anscheinend haben wir kein Geld. Ich muss unsere Transaktion daher leider rückgängig machen.«
    »Weil du Soldat bist, glaubst du wohl«, sagte der Einäugige und schlug den Mantel auseinander, um uns den Griff eines finnischen Dolches zu zeigen, »dass ich dich nicht aufschlitze?«
    »Ein Glas Gift hab ich ja schon im Bauch. Also versuch's ruhig.«
    Kolja lächelte den Mann an und wartete auf eine Reaktion. In Koljas blauen Augen war nichts zu lesen, weder Furcht noch Zorn noch Vorfreude auf einen zu erwartenden Kampf - gar nichts. Das war, wie ich noch lernen sollte, sein großes Talent: Gefährliche Situationen machten ihn ruhig. Um ihn herum gingen die Menschen auf die übliche Weise mit ihrer Angst um: mit Stoizismus, Hysterie, aufgesetzter Munterkeit oder einer Mischung aus allen dreien. Kolja dagegen, so glaube ich, hielt von alledem nicht besonders viel. Alles an diesem Krieg war grotesk: die Barbarei der Deutschen, die Parteipropaganda, das Kreuzfeuer der Brandbomben, das den nächtlichen Himmel erhellte. Für ihn schien das alles die Geschichte eines anderen zu sein, eine verblüffend detaillierte Geschichte, in die er irgendwie hineingestolpert war und aus der er nun nicht mehr herauskam.
    »Verschwinde, sonst schneid ich dir die Lippen ab«, sagte der Einäugige, auf dem Stiel seiner kalten Pfeife kauend und die Hand auf dem Griff seines Dolches. Kolja salutierte und zog zum nächsten Stand weiter, entspannt und unbekümmert, als wäre die ganze Transaktion eine saubere und einfache Sache gewesen. Ich folgte ihm, und das Herz schlug mir bis zum Hals.
    »Lass uns einfach die Eier besorgen«, sagte ich. »Was musst du auch rumlaufen und die Leute provozieren.«
    »Ich habe einen Schluck gebraucht, ich habe einen Schluck getrunken, meine Lebensgeister sind zurückgekehrt.« Er holte tief Luft und atmete durch geschürzte Lippen aus, sah zu, wie sein Atem nach oben stieg. »Von Rechts wegen hätten wir beide letzte Nacht sterben müssen. Kapierst du das? Kapierst du eigentlich, was für ein Glück wir haben? Also freu dich.«
    Ich blieb an einem Stand stehen, an dem eine alte Frau vom Land, die ein Kopftuch trug, Frikadellen aus hellem grauen Fleisch verkaufte. Kolja und ich starrten das Fleisch an. Es sah ziemlich frisch aus, glänzte vor Fett, aber keiner von uns hatte das Bedürfnis, zu erfahren, von was für einem Tier es stammte.
    »Haben Sie Eier?«, fragte ich die alte Frau.
    »Eier?«, fragte sie und beugte sich vor, um besser zu hören. »Nicht seit September.« »Wir brauchen ein Dutzend«, sagte Kolja. »Wir zahlen gutes Geld.« »Und wenn ihr eine Million Rubel bezahlt«, sagte sie, »es gibt keine Eier. Nicht in Piter.« »Wo dann?«
    Sie zuckte die Achseln, und die Falten, die ihr Gesicht überzogen, waren so tief, dass sie wie gemeißelt aussahen. »Ich hab Fleisch. Wenn ihr Fleisch wollt, zwei Frikadellen kosten dreihundert. Keine Eier.«
    Wir gingen von Stand zu Stand, fragten überall, ob sie Eier hatten, aber seit September hatte auf dem Heumarkt niemand mehr Eier gesehen. Es gab gewisse Theorien, wo welche zu finden seien: Hochrangige Offiziere ließen sie angeblich aus Moskau einfliegen; Bauern draußen vor der Stadt gaben sie den Deutschen, zusammen mit Butter und frischer Milch, damit diese sie am Leben ließen; ein alter Mann, der in der Nähe des Narwa-Tors wohnte, halte Hühner in einem Stall auf dem Dach. Das letztere Gerücht war offensichtlich völlig absurd, aber der Junge, der uns davon erzählte, beteuerte, dass es wahr sei.
    »Wenn man ein Huhn schlachtet, dann reicht's vielleicht für eine Woche. Aber wenn man's leben lässt, dann hat man jeden Tag ein Ei zu den Lebensmittelrationen dazu, und man kommt bis zum Sommer durch.«
    »Ein Huhn muss gefüttert werden«, sagte Kolja. »Wer kann schon ein Huhn durchfüttern?«
    Der Junge, dessen schwarzes Kraushaar unter einer alten Mütze der zaristischen Marine hervorquoll, schüttelte den Kopf, als wäre das eine dumme Frage.
    »Hühner fressen alles. Ein Löffelchen Sägemehl, mehr brauchen die nicht.«
    Der Junge verkaufte sogenannte Bücherei-Lebkuchen, die hergestellt wurden, indem man den Einband von Büchern abriss, den Leim vom Buchrücken abkratzte, ihn einkochte und daraus längliche Stücke formte, die in Papier eingewickelt wurden. Das Zeug schmeckte wie Wachs, aber der Leim enthielt Protein, Protein hielt dich

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