DavBen-StaderDie
wärst, könnte ich dir vermutlich einiges beibringen.«
»Über Frauen?«
»Jawohl, über Frauen. Über Literatur. Über Schach.«
»Wie alt bist du? Neunzehn? Wie kommt es, dass du dauernd daherredest, als wärst du in allem der große Experte?«
»Ich bin zwanzig. Und ich bin nicht in allem ein Experte. Nur was Frauen, Literatur und Schach angeht.«
»So.«
»Mhm. Und im Tanzen. Ich bin ein ausgezeichneter Tänzer.« »Um was würdest du bei einer Partie Schach wetten?«
Kolja sah mich rasch an und lächelte. Er stieß die Luft aus, die als Dampfwolke nach oben stieg.
»Ich nehme dein deutsches Messer.« »Und was bekomme ich?«
»Du bekommst gar nichts. Weil du nämlich nicht gewinnst.«
»Aber angenommen, ich gewinne.«
»Ich habe noch etwa hundert Gramm von der Wurst...«
»Hundert Gramm Wurst gegen das Messer eines deut schen Fliegers? Nicht mit mir.«
»Ich habe Fotos ...« »Was für Fotos?«
»Fotos von Frauen. Von Französinnen. Da könntest du alles lernen, was du wissen musst.«
Fotos von Französinnen schienen ein Preis zu sein, um den es sich zu spielen lohnte. Ich hatte keine Angst, mein Messer zu verlieren. Es gab viele Leute in Piter, die mich beim Schach schlagen konnten, aber ich kannte alle beim Namen. Mein Vater war Stadtmeister gewesen, als er noch studierte; er nahm mich donnerstags und sonntags immer mit in den Schachklub Spartak im Pionierpalast. Als ich sechs war, erklärte der Trainer des Klubs, ich sei ein Talent. Einige Jahre lang war ich einer der Spitzenspieler der Jugendmannschaft, gewann Bändchen und Medaillen bei Turnieren in der ganzen Leningrader Oblast. Das machte meinen Vater stolz, obwohl er viel zu sehr Bohemien war, um zuzugeben, dass ihm Wettkämpfe etwas bedeuteten, und er mich nie meine Preise in unserer Wohnung ausstellen ließ.
Als ich vierzehn war, trat ich aus dem Klub aus. Ich hatte eingesehen, dass ich ein guter Schachspieler war, aber nie ein ganz großer werden würde. Freunde von mir aus dem Spartak, die ich regelmäßig geschlagen hatte, als wir jünger waren, hatten mich längst überholt, ein Niveau erreicht, an das ich nie herankommen würde, und wenn ich noch so viele Partien spielte, noch so viele Bücher las, noch so viele Endspielprobleme nachts im Bett wälzte. Ich war wie ein gut ausgebildeter Pianist, der weiß, welche Töne er anschlagen muss, sich die Musik aber nicht zu eigen machen kann. Ein brillanter Spieler versteht Schach in einer Art und Weise, die er nie ganz in Worte fassen kann; er analysiert das Brett und weiß, wie er seine Position verbessern kann, noch bevor sein Verstand eine Erklärung für den Zug ausgearbeitet hat. Diesen
Instinkt hatte ich nicht. Für meinen Vater war mein Austritt aus dem Klub eine Enttäuschung, aber ich selbst war froh darüber. Schach machte auf einmal viel mehr Spaß, als ich mir den Kopf nicht mehr wegen meiner Platzierung auf der Stadtliste zu zerbrechen brauchte.
Kolja blieb vor dem Cafe Kwissisana stehen und sah durch eines der Spiegelglasfenster, die kreuz und quer mit Papier beklebt waren. Das Lokal innen war leer geräumt, alles verschwunden bis auf den Linoleumboden und eine Schiefertafel an der Wand, auf der noch die Tagesgerichte vom letzten August standen.
»Ich war mal mit einem Mädchen hier. Die hatten die besten Lammkoteletts der Stadt.«
»Und dann hast du sie mit zu dir genommen und mit ihr geschlafen?«, sagte ich sarkastisch, ahnte aber bereits im nächsten Moment, dass er genau das getan hatte.
»Nein«, sagte Kolja, der prüfend sein Spiegelbild im Fenster betrachtete und eine verirrte blonde Strähne wieder unter seine schwarze Pelzmütze schob. »Wir haben vor dem Abend essen miteinander geschlafen. Nach dem Abendessen haben wir im Europa noch was getrunken. Sie war verrückt nach mir, aber mir gefiel eine ihrer Freundinnen besser.«
»Warum bist du dann nicht mit der Freundin essen gegangen?«
Kolja lächelte, das überlegene Lächeln eines Vorgesetzten angesichts eines begriffsstutzigen Untergebenen.
»Geflissentliche Nichtbeachtung. Du musst noch viel lernen.«
Wir gingen weiter den Newski hinunter. Es war ein Uhr mittags, aber die Wintersonne stand schon tief am westlichen Himmel, und unsere Schatten wurden länger.
»Gehen wir die Sache langsam an«, sagte er, »und beginnen wir am Ausgangspunkt. Gibt es eine, die du magst?«
»Keine besondere.«
»Wer sagt denn, dass sie etwas Besonderes sein muss? Du bist noch Jungfrau, du brauchst warme Schenkel und
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