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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Fähigkeit zuzuhören. Jede der siebenundzwanzig Etü den von Chopin konnte ich schon nach wenigen Takten benennen; ich kannte alles von Mahler, von den Liedern eines fahrenden Gesell en bis hin zur unvollendeten Zehnten. Aber die Musik, die wir in jener Nacht hörten, hatte ich noch nie gehört und sollte ich auch später nie wieder hören. Die Töne wurden durch Fensterglas und die Entfernung und den unablässigen Wind gedämpft, doch ihre Macht drang durch. Es war Musik für Kriegszeiten.
    Wir standen auf dem Bürgersteig, über uns eine matte Straßenlaterne, die spinnwebartig mit Raureif überzogen war, im Süden die feuernden schweren Geschütze, der Mond von zarten Wolken verschleiert, und hörten bis zum letzten Ton zu. Als die Musik endete, schien etwas zu fehlen: Die Darbietung war zu perfekt, um nicht mit Beifall bedacht zu werden, der Künstler zu gut, um ohne Applaus zu bleiben. Geraume Zeit starrten wir schweigend zu den dunklen Fenstern hinauf. Erst als die Höflichkeit es zu gestatten schien weiterzugehen, setzten wir unseren Weg fort.
    »Ein Glück, dass ihm niemand das Klavier zu Brennholz zerhackt hat«, sagte Kolja.
    »Dem, der da gespielt hat, zerhackt niemand das Klavier. Das könnte Schostakowitsch persönlich gewesen sein. Wahrscheinlich lebt er hier irgendwo.«
    Kolja stierte mich finster an und spuckte auf den Bürgersteig.
    »Schostakowitsch wurde schon vor drei Monaten evakuiert.«
    »Das ist nicht wahr. Er ist auf allen Plakaten mit seinem Feuerwehrhelm zu sehen.«
    »Oh ja, der große Held, nur dass er jetzt in Kujbyschew sitzt und die Mahler-Melodien pfeift, die er geklaut hat.«

»Schostakowitsch hat nicht bei Mahler geklaut!«
    »Ich dachte mir, dass du Mahlers Partei ergreifst«, sagte Kolja und blickte mit amüsiert gekräuselten Lippen auf mich herab, was, wie ich inzwischen wusste, zu bedeuten hatte, dass er gleich etwas Irritierendes sagen würde. »Oder ziehst du etwa nicht den Juden dem Nicht - Juden vor?«
    »Die beiden stehen nicht auf verschiedenen Seiten. Mahler hat großartige Werke komponiert. Schostakowitsch komponiert großartige Werke ...«
    »Großartige? Dass ich nicht lache. Der Mann ist ein Dilettant und ein Dieb.«
    »Und du bist ein Dummkopf. Du hast keine Ahnung von Musik.«
    »Ich weiß nur, dass Schostakowitsch im September im Radio von unserer großen patriotischen Pflicht gesprochen hat, gegen den Faschismus zu kämpfen, und drei Wochen später sitzt er in Kujbyschew und schlägt sich den Bauch voll.«
    »Das ist nicht seine Schuld. Die wollen bloß nicht, dass er getötet wird, und dar um hat man ihn gezwungen, wegzu gehen. Überleg doch mal, wie schlecht es für die Moral wäre, wenn ...«
    »Das wäre natürlich eine wahre Tragödie«, sagte Kolja in dem professoralen Ton, dessen er sich bei seinen sarkastischsten Bemerkungen bediente. »Wir können unsere Prominenten doch nicht sterben lassen! Wenn es nach mir ginge, würde ich es andersrum machen. Nämlich alles von Rang und Namen an die Front schicken. Schostakowitsch kriegt eine Kugel in den Kopf? Was das für einen Aufschrei im Land gäbe! In der ganzen Welt! BERÜHMTER KOMPONIST VON NAZIS ERMORDET. Oder Anna Achmatowa, die war auch im Radio zu hören. Erinnerst du dich? Hat allen Frauen in Leningrad gesagt, sie sollen tapfer sein und lernen, wie man ein Gewehr abfeuert. Und wo ist sie jetzt? Schießt sie auf Deutsche? Hm, nein, ich glaube nicht. Steht sie in der Fabrik und fräst Geschosshüllen? Nein, die hockt im beschissenen Taschkent und fabriziert die narzisstischen Verse, für die sie berühmt ist.«
    »Meine Mutter und meine Schwester sind auch weggegangen. Deshalb sind sie noch lange keine Verräter.«
    »Deine Mutter und deine Schwester haben auch nicht im Radio gesprochen und uns gesagt, dass wir tapfer sein müssen. Schau, ich erwarte nicht, dass Komponisten und Dichter Helden sind. Aber Heuchler kann ich nun mal nicht ausstehen.«
    Er rieb sich mit dem Handschuhrücken die Nase und blickte wieder Richtung Süden, zu dem Artilleriefeuer, das den Himmel hell erleuchtete.
    »Wo ist denn jetzt dein verdammtes Haus?«
    Wir waren soeben in die Woinowa Uliza eingebogen, und ich hob die Hand, um auf das Kirow zu deuten. Ich deutete ins Leere, doch geraume Zeit kam es mir nicht einmal in den Sinn, die Hand sinken zu lassen. Wo das Kirow gestanden hatte, waren nur noch Trümmer, ein steiler Hügel aus zerborstenen Betonplatten, ein e Halde aus Mauerwerk und verbo genen Stahlträgern und

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