DavBen-StaderDie
und sah oder hörte nie wieder etwas von ihnen.
Etwas stieß an meine Schulter, meine Augen gingen schlagartig auf, und ich merkte, dass ich mich wie in Trance vorwärtsbewegt hatte. Kolja ging jetzt neben mir, und seine behandschuhte Hand packte mich durch den Mantel.
»Bist du noch da?«, fragte er leise und betrachtete mich aufrichtig besorgt.
»Ja, bin ich.«
»Ich bleibe bei dir. Damit du nicht einschläfst.« »Aber Korsakow hat gesagt...«
»Ich lass mir von dem Arschloch keine Befehle geben. Du hast ja gesehen, wie er die Mädchen behandelt hat.«
»Du bist doch der, der so kumpelhaft mit ihm getan hat.«
»Im Moment brauchen wir ihn. Und seine kleine Freundin ... Ich hab gesehen, wie du sie da drin angestiert hast. Bei der würdest du's gern mal probieren, was? Was? Ha!«
Ich schüttelte den Kopf, zu müde, um über seinen arm seligen Witz auch nur stöhnen zu können.
»Hast du schon mal mit einer Rothaarigen geschlafen? Aber was rede ich denn da, du hast ja noch nie mit einer Frau geschlafen. Die gute Nachricht ist, dass sie im Bett wahre Teufel sind. Zwei der drei besten Nummern meines Lebens waren Rothaarige. Auf alle Fälle zwei von vier. Aber die andere Seite der Medaille ist, dass sie Männer hassen. Die haben eine Riesenwut im Bauch, mein Freund. Sieh dich vor.«
»Alle Rothaarigen hassen Männer?«
»Ist doch ganz verständlich, wenn du mal darüber nachdenkst. Jede Rothaarige, die dir hier draußen begegnet, stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von einem Wikinger ab, der rumgelaufen ist und Arme abgehackt hat, bevor er ihre Ur ahninnen vergewaltigt hat. Eine Rothaarige hat das Blut von Plünderern in den Adern.«
»Eine tolle Theorie. Die musst du ihr unbedingt mitteilen.«
Bei jedem Schritt versuchte ich, in die Stiefelspuren des Partisanen zu treten, der achtzehn Schritte vor uns ging. Auf zusammengepressten Schnee zu treten kostete weniger Kraft, als in frischem Pulverschnee zu gehen, aber der Mann vor mir hatte lange Beine, und ich hatte große Mühe, mich seinen Fußstapfen anzupassen.
»Nur damit ich das richtig verstehe«, begann ich leicht keuchend und duckte mich unter einem ausladenden Ast voller Kiefernnadeln, »wir marschieren nach Nowoje Koschkino, um das Haus zu finden, in dem der Stab des Einsatzkommandos untergebracht ist, weil es dort vielleicht Eier gibt?«
»Das ist das Eine, das machen wir für den Oberst. Aber für uns, für Russland, marschieren wir nach Nowoje Koschkino, um Deutsche zu töten, weil sie getötet werden müssen.«
Ich drückte den Kopf so weit nach unten, dass fast mein ganzes Gesicht durch den aufgestellten Kragen des Marinemantels meines Vaters vor dem Wind geschützt war. Welchen Sinn hatte es, noch länger zu diskutieren? Kolja hielt sich für eine Art Bohemien, einen Freigeist, aber auf seine Weise glaubte er ebenso fest an unsere Sache wie ein Junger Pionier. Das Schlimmste daran war, dass ich nicht glaubte, dass er unrecht hatte. Die Einsatzkommandos mussten vernichtet werden, bevor sie uns vernichteten. Ich wollte nur nicht derjenige sein, der sie vernichtete. Sollte ich mich etwa, mit nichts weiter als einem Messer bewaffnet, in ihren Bau schleichen? Noch vor fünf Tagen wäre mir ein Bericht über dieses Unternehmen wie das große Abenteuer erschienen, auf das ich seit Kriegsbeginn gewartet hatte. Doch jetzt, da ich mittendrin steckte, wünschte ich, ich hätte meine Mutter und meine Schwester im September begleitet.
»Erinnerst du dich an das Ende von Band eins von Der Hofhund ! Als Radtschenko seinen alten Professor sieht, der wankend die Straße hinuntergeht und die Tauben verwünscht?«
»Die schlechteste Szene der Literaturgeschichte.«
»Oh, Verzeihung, du hast das Buch ja gar nicht gelesen.«
Es lag etwas seltsam Tröstliches in Koljas Beständigkeit, seiner Bereitschaft, wieder und immer wieder die gleichen Witze zu machen - falls man dergleichen Witze nennen konnte. Er war wie ein munterer seniler Großvater, der am Esstisch sitzt, den Hemdkragen mit Borschtsch bekleckert, und zum wiederholten Mal die Geschichte von seiner Begegnung mit dem Zaren erzählt, obwohl jeder in der Familie sie mittlerweile auswendig aufsagen kann.
»Eine der schönsten Szenen der Literaturgeschichte, glaub mir. Der Professor war zu seiner Zeit ein berühmter Schriftsteller, ist inzwischen aber völlig vergessen. Radtschenko schämt sich für den alten Mann. Er beobachtet ihn vom Schlafzimmerfenster aus - Radtschenko verlässt nie seine Wohnung;
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