DavBen-StaderDie
her, und zwar auf Korsakows ausdrücklichen Befehl. Obwohl ich die taktische Bedeutung dieser Formation nicht verstand, vertraute ich darauf, dass Leute wie er Meister des Hinterhalts waren und wussten, was sie taten. Kolja ging vor mir, und da ich den Kopf gesenkt hielt, war ich mir nur seines Mantelsaums und seiner schwarzen Lederstiefel bewusst. Die übrigen Gestalten in unserer kleinen Karawane waren Phantome, nicht zu sehen und nicht zu hören, abgesehen von dem gelegentlichen Knacken eines Zweiges, auf den jemand trat, oder dem Scheppern einer Feldflasche, wenn jemand den Deckel abschraubte, um einen Schluck heißen Tee zu trinken.
Ich hatte eigentlich nie so richtig daran geglaubt, Soldaten könnten im Gehen schlafen, aber als wir immer weiter Richtung Osten gingen, eingelullt vom Rhythmus unserer Stiefel, die sich im Schnee hoben und senkten, taumelte ich zwischen Wachen und Träumen hin und her. Selbst die Kälte konnte mich nicht wach halten. Nowoje Koschkino war, wenn man die Straße benutzte, nur wenige Kilometer von dem Bauernhaus entfernt, aber wir waren weit weg von jeder Straße, gingen in großem Bogen um deutsche Feldlager herum, in die Kolja und ich prompt hineingestolpert wären, wenn uns niemand geführt hätte. Korsakow hatte gesagt, der Marsch werde vier Stunden dauern; bevor die erste vorbei war, hatte ich das Gefühl, als hätte man mir dicken Sirup in den Schädel gekippt. Alles, was ich tat, tat ich langsam. Wenn ich mir die Nase reiben wollte, war ich mir bewusst, wie das Gehirn den Befehl gab und die Hand widerwillig gehorchte, wie lange die Hand bis zum Gesicht brauchte, dort nach der Nase suchte (gewöhnlich ein nicht zu verfehlendes Ziel), und wie die Hand dankbar in ihre behagliche kleine Höhle tief drinnen im Marinemantel meines Vaters zurückkehrte.
Je müder ich wurde, desto dubioser erschien mir das ganze Unterfangen. Wie konnte das alles wahr sein? Wir waren ein in Mäuse verzaubertes Häuflein, das unter dem mit Kreide auf den Schiefertafelhimmel gemalten Mond dahinzog. In Nowoje Koschkino lebte ein Hexenmeister, ein Mann, der die alten Zaubersprüche kannte, die uns wieder in die Männer verwandeln würden, die wir früher gewesen waren. Doch auf dem Weg dorthin lauerten Gefahren, riesige schwarze Katzen schlichen über das Eis, um sich auf uns zu stürzen, wenn wir, ein Schlupfloch suchend, davontrippelten, unsere langen Schwänze vor Angst zitterten.
Mein Stiefel sank tief in eine Schneeverwehung ein, und ich hätte mir beinahe den Knöchel verstaucht. Kolja blieb stehen und drehte sich um, als er mich stolpern hörte, aber es gelang mir, mich wieder aufzurichten, ihm zuzunicken und ohne fremde Hilfe weiterzugehen.
Die Mädchen aus dem Bauernhaus hatten sich zur gleichen Zeit auf den Weg gemacht wie wir. Sie hatten weder warme Mäntel noch Winterstiefel; die Deutschen hatten sie ihnen abgenommen, nachdem Soja weggelaufen war. Da ihnen die entsprechende Kleidung fehlte, behalfen sich die Mädchen mit mehreren Schichten übereinander, zogen jedes Hemd an, das sie besaßen, jeden Pullover und jedes Paar dicke Strümpfe, bis sie unter dem schieren Gewicht schwankten und wie betrunkene dicke Bauern durch das große Zimmer torkelten. Galina hatte die Idee gehabt, die Mäntel der Nazis zu nehmen, doch das hatte man ihr schnell ausgeredet - ihre Chancen standen schlecht genug, falls sie gefasst wurden, aber im Mantel eines toten Offiziers gefasst zu werden bedeutete das Ende.
Kolja und ich hatten die Mädchen an der Tür auf die Wange geküsst. Sie hatten beschlossen, nicht nach Leningrad zu gehen; die eine oder andere hatte dort Angehörige, aber die Onkel und Vettern konnten bereits tot oder in den Osten geflohen sein. Noch entscheidender war, dass es in Leningrad für die Einwohner nichts zu essen gab und somit schon gar nichts für vier Mädchen vom Land und ohne Lebensmittelkarten. Leningrad kam daher nicht infrage, also brachen sie Richtung Süden auf. Sie hatten alles mitgenommen, was an Nahrungsmitteln übrig geblieben war, nachdem sich die Partisanen eingedeckt hatten. Korsakow überließ ihnen zu ihrem Schutz zwei der von den Deutschen stammenden Luger. Die Mädchen hatten kaum eine Chance, aber sie schienen guter Dinge zu sein, als sie zur Tür des Bauernhauses hinausgingen. Sie waren hier monatelang Gefangene gewesen, hatten Nacht für Nacht ihre eigenen Qualen durchlitten, und nun waren sie frei. Ich küsste alle acht Wangen, winkte den Mädchen zum Abschied nach
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