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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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er untergehen, und dann würden wir uns in völliger Dunkelheit bewegen, über Wurzeln stolpern und auf vereisten Stellen ausrutschen.
    »Um ganz ehrlich zu sein, in der Nacht, als ich dich kennenlernte, damals im Kresty-Gefängnis, da dachte ich, dass sie uns am nächsten Morgen erschießen. War es da nicht völlig egal, was ich dir erzähle? Also habe ich einfach dahergeredet, wie es mir in den Sinn kam.«
    »Aber zu mir hast du gesagt, dass sie uns nicht erschießen werden!«
    »Ja, weil du offenbar ein bisschen Angst hattest. Aber überleg doch mal: ein Deserteur und ein Plünderer? Was hatten wir denn da für Chancen?«
    Der nächste Baum, den ich mir als Zwischenstation vorgenommen hatte, schien schrecklich weit weg zu sein, eine Kiefer, die sich als Silhouette abhob und ihre Schwestern überragte, ein stummer Wächter, älter als alle anderen. Während ich keuchte, nahm Kolja einen Schluck Tee aus seiner Feldflasche, ein Naturfreund auf einem nächtlichen Geländemarsch. Soldaten bekamen eben wesentlich üppigere Lebensmittelrationen als Zivilisten - so lautete meine logische Erklärung für seine bessere Kondition, ohne zu bedenken, dass wir in den letzten Tagen genau das Gleiche gegessen hatten.
    »Du hast gesagt, du hättest deine Einheit verlassen, um deine Doktorarbeit über Uschakowos Der Hofhund zu verteidigen«, sagte ich, immer wieder eine Pause einlegend, um wieder zu Atem zu kommen. »Und jetzt gibst du zu, dass Uschakowo gar nicht existiert, dass Der Hofhund gar nicht existiert.«
    »Aber es wird ihn geben. Wenn ich lange genug lebe.«
    »Warum hast du deine Einheit verlassen?«
    »Das ist ziemlich kompliziert.«
    »Wollt ihr euch nicht gleich in die Büsche schlagen und ficken?«
    Kolja und ich fuhren herum. Vika hatte sich lautlos von hinten an uns herangeschlichen, so dicht, dass ich hätte die Hand ausstrecken und ihre Wange berühren können. Sie funkelte uns voller Verachtung an, sichtlich angewidert, sich in Gesellschaft derart erbärmlicher Soldaten zu befinden.
    »Man hat euch angewiesen, mit neun Schritten Abstand in Reihe zu gehen.« Ihre Stimme war sehr tief für ein so kleines Mädchen und heiser, als wäre sie eine Woche lang krank gewesen und ihr Kehlkopf noch angegriffen. Sie war geübt darin zu flüstern, sprach jedes leise Wort so deutlich aus, dass wir alles verstehen konnten, fünf Meter weiter aber nichts mehr davon zu hören war.
    »Ihr schlendert hier rum wie zwei Schwuchteln und plaudert über Bücher. Ist euch klar, dass sich im Umkreis von zwei Kilometern deutsche Militärlager befinden? Wenn ihr mit den Kommunisten und Juden in einem Graben enden wollt, dann ist das eure Sache, aber ich habe vor, im nächsten Jahr in Berlin zu sein.«
    »Er ist Jude«, sagte Kolja und deutete mit dem Daumen auf mich, übersah den wütenden Blick, den ich ihm zuwarf.
    »Ach ja? Dann bist du der erste geistig beschränkte Jude, der mir je begegnet ist. Entweder ihr dreht jetzt um und geht zurück nach Piter oder ihr haltet das Maul und tut, was man euch sagt. Es hat schon seine Gründe, weshalb wir seit zwei Monaten keinen Mann verloren haben. Los jetzt, vorwärts.«
    Sie gab jedem von uns einen kräftigen Schubs auf den Rücken, und so nahmen wir, mit neun Schritten Abstand zwischen uns, unsere Plätze in der Reihe wieder ein, beschämt und schweigend.
    Ich dachte über den nicht existenten Schriftsteller Uschakowo und sein nicht existentes Meisterwerk Der Hofhund nach. Aus irgendeinem Grund war ich nicht böse auf Kolja. Es war eine merkwürdige Lüge, aber eine harmlose, und je länger ich ging, desto besser verstand ich seine Motive. Kolja schien keine Angst zu kennen, doch in jedem von uns steckt irgendwo Angst; Angst ist ein Teil unseres Erbes. Stammen wir denn nicht alle von furchtsamen kleinen Spitzmäusen ab, die sich im Dunkeln zusammenkauerten, während die großen Saurier vorbeistampften? Kannibalen und Nazis machten Kolja nicht nervös, die Möglichkeit einer Blamage dagegen schon - die Vorstellung, ein Fremder könnte über die Zeilen lachen, die er geschrieben hatte.
    Mein Vater hatte viele Freunde, zumeist Schriftsteller, und sie machten unsere Wohnung zu ihrem Klubhaus, weil meine Mutter so gut kochte und mein Vater keinen hinauswer fen wollte. Meine Mutter klagte, sie führe das reinste Hotel Literati. Die ganze Wohnung stank nach Zigarettenrauch, und überall lagen Kippen herum, in den Topfpflanzen und den halb geleerten Teegläse rn. Eines Abends steckte ein ex

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