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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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perimenteller Bühnenautor Dutzende dieser Kippen in die Wachstropfen auf dem Küchentisch, eine bildliche Darstellung der Truppen Roms und Karthagos, um Hannibals doppeltes Umfassungsmanöver bei der Schlacht von Cannae zu demonstrieren. Meine Mutter jammerte über den Lärm, die kaputten Gläser, die Flecken auf den Teppichen von dem billigen ukrainischen Wein, aber ich wusste, dass sie es mochte, Scharen von Dichtern und Romanautoren zu Gast zu haben, es liebte, wenn sie ihre Schmorgerichte verschlangen und von ihren Kuchen schwärmten. Als sie jung war, war sie eine hübsche Frau, und auch wenn sie selbst nicht flirtete, so mochte sie es doch, wenn gut aussehende Männer mit ihr flirteten. Sie saß gewöhnlich neben meinem Vater auf dem Sofa und lauschte den Diskussionen und dem Schwadronieren und Polemisieren, sagte nie etwas, hörte aber alles, hob sich alles für später auf, wenn sie mit meinem Vater den Abend Revue passieren ließ, nachdem der letzte Betrunkene endlich zur Tür hinausgewankt war. Sie selbst war keine Schriftstellerin, aber sie war eine eifrige Leserin, leidenschaftlich und eklektisch, was ihren Geschmack betraf, und mein Vater vertraute auf ihr Urteil. Wenn einer der ganz Großen in die Wohnung kam, ein Mandelstam oder Tschukowski, dann bekam er von ihr keine Sonderbehandlung, aber ich merkte genau, dass sie diese Männer genauer beobachtete, darauf achtete, wie sie mit meinem Vater umgingen. Ihrer Meinun g nach gab es in der literar ischen Gemeinschaft eine ebenso klare, hierarchisch gegliederte Rangordnung wie in der Armee; die einzelnen Ränge mochten zwar keine Titel und Abzeichen haben, aber dennoch bestanden Unterschiede, und meine Mutter wollte genau wissen, welchen Rang mein Vater hatte.
    Manchmal, wenn genug Weinflaschen geleert worden waren, stand ein Dichter auf, leicht schwankend, als wehte ein starker Wind, und trug ein neues Gedicht vor, das er geschrieben hatte. Mir als Achtjährigem, der heimlich vom Flur ins Wohnzimmer spähte und wusste, dass ihn bald jemand erwischen würde, aber hoffte, dass Vater derjenige sein würde (ihn konnte praktisch nichts aus der Ruhe bringen, während meiner Mutter schnell die Hand ausrutschte), sagten die Gedichte gar nichts. Die meisten Dichter wollten Majakowski sein, und obwohl sie ihm an Talent weit unterlegen waren, konnten sie doch seinen düsteren Stil nachahmen und lauthals Verse deklamieren, die für mich mit meinen acht Jahren keinen Sinn ergaben, vermutlich genauso wenig wie für alle anderen im Raum. Aber auch wenn mich die Gedichte nicht beeindruckten, die Auftritte selbst faszinierten mich - diese kräftigen Männer mit ihren buschigen Augenbrauen, immer eine Zigarette zwischen den Fingern, die lange Asche daran, die abbrach und zu Boden fiel, wenn sie allzu wild gestikulierten. Ganz selten stand auch eine Frau auf und stellte sich den forschenden Blicken - einmal sogar, nach Aussage meiner Mutter, die Achmatowa persönlich, obwohl ich mich nicht erinnern kann, sie je gesehen zu haben.
    Manchmal lasen die Dichter aus handschriftlichen Notizen vor, manchmal sprachen sie frei. Wenn sie geendet hatten, sich der sie beobachtenden Gesichter nur allzu bewusst waren, griffen sie nach dem nächstbesten Glas Wein oder Wodka - nicht nur, um sich mit Alkohol zu stärken, sondern um etwas zu tun zu haben, irgendetwas Simples, damit ihre Hände und Augen beschäftigt waren, während sie auf die Reaktion der Anwesenden warteten. Ihr Publikum bestand schließlich aus Berufskollegen, Konkurrenten, und die übliche Resonanz war zurückhaltender Beifall, bekundet durch nickende Köpfe, Lächeln, anerkennendes Klopfen auf den Rücken. Ein oder zwei Mal erlebte ich es, dass diese missgünstigen Literaten in Euphorie verfielen, so bewegt waren von der Kraft des Werkes, dass sie ihre Eifersucht vergaßen und »Bravo! Bravo!« riefen, sich auf den benommenen, glücklichen Dichter stürzten, mit nassen Lippen sentimental seine Wangen abküssten, ihm das Haar zerwühlten, ihre Lieblingszeilen wiederholten und staunend den Kopf schüttelten.
    Weitaus häufiger jedoch war überhebliches Schweigen die Reaktion, und keiner war gewillt, dem Dichter in die Augen zu sehen, Interesse am Inhalt zu heucheln oder halbherzig zur Verwendung einer ausgefallenen Metapher zu gratulieren. Wenn eine Lesung ein Misserfolg war, so wusste der Dichter es auf der Stelle. Meist trank er dann sein Glas aus, wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab, während ihm die Schamröte ins

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