Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dave Duncan

Dave Duncan

Titel: Dave Duncan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
Die Reise wurde fortgeführt und wurde mehr und mehr zum Ausdauertest. Ein Wettrennen. Sie liefen länger und machten kürzer Rast. Little Chicken forderte ihn heraus, und Rap nahm stur an. Er lief, bis Blut aus seiner Nase rann und das Leben ihm eine endlose Folter aus Schmerz und Erschöpfung zu sein schien.
    Es war Wahnsinn. Seine Sehergabe verlieh Rap unglaubliche Sicherheit, aber wenn Little Chicken sich einen Knöchel verstauchte, würden sie beide in der Wildnis sterben. Beide wußten das. Rap hatte nicht vor zuzugeben, daß er dem Kobold in irgendeiner Weise unterlegen war. Doch das war er, wie Little Chicken ohne große Mühe demonstrieren konnte. Er ignorierte Raps übernatürliche Fähigkeiten einfach, so daß sie nicht zählten. Tag für Tag erhöhte er die Wette. Tag für Tag forderte Rap seine Wette ein. Er verachtete sich dafür, aber er konnte nicht aufhören. Er hatte den Kobold um die Gelegenheit betrogen, ihn zu foltern – jetzt folterte er sich selbst. Die Schmerzen waren vielleicht nicht ganz so schlimm, obwohl man darüber manchmal streiten konnte, doch sie dauerten länger – immer länger. Tag für Tag.
    Je mehr Rap sich anstrengte, um so mehr schien sich der Kobold darüber zu amüsieren… und um so mehr strengte er sich an.
    Dann glaubte Rap eines Nachts seine Chance gekommen. Es war der schlimmste Wettlauf bisher gewesen – doch alle schienen das zu sein – und er taumelte, als er Feuerholz sammelte. Der Kobold gestattete ihm jetzt, ihm dabei zu helfen, weil seine Bemühungen so offensichtlich vergebens waren.
    Plötzlich spürte Rap durch den Schleier von Müdigkeit und Schmerz eine Bewegung innerhalb der Reichweite seiner Sehergabe. Er richtete sich auf, suchte und entschied, daß es sich um ein kleines Tier handelte. Er verlangte Ruhe und schickte Köter aus dem Kreis hinaus, hinter die Hirschkuh, damit er sie herantrieb. Verwirrt, aber tatenlos kauerte sich Little Chicken nieder und beobachtete alles, ohne ein Wort zu sagen. Rap spannte einen Bogen, legte einen Pfeil ein und wartete, zitternd vor Erschöpfung und geistiger Anstrengung, und verfolgte sorgfältig die Schritte seiner Jagdbeute. Das Tier brach dort, wo er es erwartet hatte, in leichter Schußweite durch die Bäume. Er schoß.
    Er schoß vorbei.
    Ohne Eile zu zeigen, erhob sich Little Chicken, entwand Rap den Bogen, bückte sich nach einem Pfeil, zielte, schoß und streckte ihr Abendessen unfehlbar nieder, bevor es im Wald verschwinden konnte. Er gab den Bogen mit einem herablassenden Lächeln zurück.
    In elendes Schweigen gehüllt, beobachtete Rap das Häuten und Kochen. Natürlich war es die Müdigkeit gewesen, die seine Hand hatte zittern lassen. Selbst ein so ungeschickter Bogenschütze wie er hätte das Tier nicht verfehlen dürfen. Er hatte versucht, clever auszusehen und sich einmal mehr zum Narren gemacht. Jedes Gelenk und jeder Muskel in seinem Körper zitterte. Dieses letzte Stück der Reise schien sich tagelang ohne Pause hingezogen zu haben. Hätte er daran gedacht, sich die Position des Mondes einzuprägen, als sie losgegangen waren, dann hätte er die Zeit schätzen können, aber er wußte nur, daß es viele, viele Stunden gedauert hatte. Er war so erschöpft, daß er sich nicht sicher war, ob er überhaupt etwas von dem Wildbret essen konnte. Er konnte kaum seine Augen offenhalten, seine Brust brannte, seine Beine schmerzten – und Little Chicken schien so frisch, als sei er gerade aufgestanden. Es mußte eine Grenze geben, bis zu der ein Mann diese Qualen ertragen konnte, und Rap war sicher, daß er sie jetzt erreicht hatte. Warum nicht einfach zugeben, daß der Wettlauf hoffnungslos war? Wen kümmerte das? Was bedeutete es schon?
    Dann sah Rap, wie der Kobold ihn aus seiner Kauerstellung am Kochfeuer beobachtete, und sein großer häßlicher Mund war wieder zu einem geringschätzigen Lachen verzogen. »Jetzt essen, Flat Nose. Dann schlafen? Oder laufen?«
    Rap gab das bösartige Grinsen zurück.
Als er sprach, winselte etwas in seinem Inneren gepeinigt auf. »Weitergehen, natürlich«, sagte er.

5
    Ein Regenschauer klatschte gegen die Fensterscheibe und verlor sich in leisem Plätschern. Auf der anderen Seite des Raumes knisterten schläfrig Holzscheite im großen Kamin, und irgendwo weit entfernt hörte man eine Tür. Regen war ein Zeichen für den Frühling, dachte Inos glücklich, und sie staunte einmal mehr, daß er so früh kam. Seit vielen Monaten stampften die eisernen Absätze des Winters

Weitere Kostenlose Bücher