Dave Duncan
jetzt über das arme, alte Krasnegar, aber gestern hatte sie Schneeregen gespürt. Blumen! Bäume hatten sie noch nie besonders beeindruckt, Blumen dafür um so mehr.
Es war ein verschlafener, fauler Nachmittag, und sie saß mit einem sehr gelehrten Buch, geschrieben in veralteter, unergründlicher Handschrift, in einen großen Sessel in der Bibliothek gekuschelt. Beim Feuer nickte Tante Kade über einem dünnen Liebesroman. Verschiedene Damen und Herren taten ebenfalls so, als ob sie lasen – doch nur wenige gaben sich ernsthaft Mühe damit. Inos las ernsthaft, war jedoch bereit, ihre Niederlage einzugestehen. Sie könnte natürlich einen Schreiber bitten, ihr die Schlüsselpassagen zu übersetzen, aber sie war sich unerklärlicherweise ganz sicher, daß sie ihren hübschen kleinen Kopf nicht mit diesem dikken Wälzer belasten sollte. Ihre Bitte würde wohl nicht zurückgewiesen, dachte sie, aber das Ergebnis würde lange auf sich warten lassen, und in der Zwischenzeit wäre das Buch vielleicht nicht mehr verfügbar. Frühling! Dann würde der Sommer kommen und ihr Schiff auf sie warten. Sie seufzte, drehte eine Locke ihres goldenen Haares um den Finger und blickte versonnen auf die regenverhangenen Fenster. Krasnegar? Um ehrlich zu sein, sie sehnte sich nicht mehr allzu sehr nach Krasnegar. Sie vermißte natürlich ihren Vater, aber sonst? Es gab dort niemanden ihres Ranges, und keiner in ihrem Alter würde auch nur ein Wort von dem verstehen, was sie über Kinvale erzählen würde.
Inos wandte sich um und betrachtete einen Augenblick Tante Kades schwere Augenlider und fragte sich, wie sie das alles durchgehalten hatte. Vierzig Jahre oder länger hatte sie in Kinvale gelebt, als Ehefrau und Witwe, und dann hatte sie alles aufgegeben und war nach Krasnegar zurückgegangen, um sich um ihre Nichte zu kümmern, die plötzlich zur Halbwaise geworden war. Nur eine Nichte – eine Nichte, die ihre Tante nicht zu schätzen gewußt hatte, bis sie sah, was diese für sie aufgegeben hatte. Um in das kahle, karge Krasnegar zurückzukehren wegen einer Nichte, während Kinvale so viel zu bieten hatte?
Und sie? Natürlich mußte sie zurückfahren. Da gab es keinen Zweifel. Sie würde im Sommer zurückkehren, unverheiratet und nicht verlobt, wie es aussah.
Fünf Monate, seit Andor fortgegangen war…
Tante Kade und ihre Gnaden – oder Ungnaden? – die Herzogin waren schließlich die Kandidaten ausgegangen. Die lange Parade der Bewerber, die mit dem wunderbaren Andor begonnen hatte, endete schließlich mit dem unaussprechlichen Prokonsul Yggingi. Andor war ein Zufall gewesen, Yggingi eine Katastrophe. Yggingi war nicht wegen Inos nach Kinvale eingeladen worden – das hatte Kade ihr äußerst nachdrücklich versichert. Schließlich war er doppelt so alt wie sie und bereits verheiratet. Leider schien Yggingi selbst derartige Überlegungen nicht anzustellen. Er war der Schlimmste von allen, der Bodensatz. Es gab zur Zeit einige angenehme junge Männer – Männer, denen es vielleicht gestattet werden könnte, den Tag eines jungen Mädchens zu erhellen, wenn schon nicht ihr ganzes Leben – doch keiner von ihnen wagte es, Inos näherzutreten. Yggingis drohender Blick hatte sie als sein privates Eigentum abgeschirmt.
Einer der Gründe, warum sie hierher geflohen war, in die Bibliothek, waren Prokonsul Yggingis unheimliche Aufmerksamkeiten, denen sie entfliehen wollte. Eine Bibliothek war der letzte Ort, den dieser Mann aufsuchen würde.
Wie wunderbar Andor ihr Gedichte vorgelesen hatte!
Keiner der anderen hatte jemals einem Vergleich mit Andor standgehalten. Natürlich hatte sie nicht damit gerechnet, vom Blitz der romantischen Leidenschaft getroffen zu werden. Eine Prinzessin mußte davon ausgehen, nach Rang, Charakter und rein konventionellen physischen Gesichtspunkten zu heiraten. Sie konnte nur darauf hoffen, daß der Mann nicht absolut abstoßend war. Doch selbst wenn sie praktisch dachte, hatte sie niemanden gefunden, der zu ihren Vorstellungen paßte – außer Andor. Wenn sie ihn nicht mitrechnete, gab es keinen Zweitbesten.
Und sie mußte ihn abschreiben. Fünf Monate…
Sie hob das Buch und machte noch einen Versuch. Eine kurze Geschichte über den verstorbenen und umtrauerten wohltätigen Zauberer Inisso, seine Erben und Nachfolger, mit einer kurzen Darstellung ihrer Taten und Erfolge. Langweilig bis zum Abwinken, aber wichtig. Inisso mußte ein merkwürdiger Mann gewesen sein. Warum sollte er seinen Turm an den
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