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Dave Duncan

Dave Duncan

Titel: Dave Duncan Kostenlos Bücher Online Lesen
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entlegenen Küsten des Wintermeeres gebaut haben? Noch merkwürdiger war die Frage, warum er sein Erbe aufgeteilt haben sollte? Denn es sah so aus, als habe er seinen drei Söhnen seine magischen Kräfte zu gleichen Teilen vererbt, und das war wohl das Eigenartigste, was ein Zauberer tun konnte. Sie hatte viele Hinweise entdeckt, nach denen ein Teil der Zauberkraft in ihre eigene Familie übergegangen war. Sie würde Vater nach ihrer Rückkehr danach fragen. Sie lächelte beim Gedanken daran, wie ihr praktisch veranlagter, nüchterner Vater heimlich Zauberrituale durchführte.
    Sie hatte noch nicht einmal Gelegenheit gehabt, das vergessene Zimmer der Macht ganz oben im Hauptturm aufzusuchen.
    Es war merkwürdig, daß sie diesen zerfledderten Wälzer voller Eselsohren in der Bibliothek in Kinvale gefunden hatte. Sehr viele Eselsohren – über die Jahrhunderte war er oft gelesen worden… Von wem? Natürlich stammte die Familie in Kinvale ebenfalls von Inisso ab. Sie und Angilki mit der Hängelippe waren durch Inisso miteinander verwandt, ebenso wie durch unzählige spätere Querverbindungen. Das gleiche galt für den unheimlichen Kalkor von Gark, ein grauenhafter Mann.
    Kade hatte bemerkt, wie sie sich mit diesem monströsen Band hingesetzt hatte und gefragt, um welches Buch es sich handele. Ihre erste Reaktion war Zustimmung gewesen – Einfältiges junges Mädchen zeigt sich interessiert – doch dann war sie unsicher geworden. Inos konnte sich nicht vorstellen, daß ihre Tante jemals einen solchen Alptraum der Langeweile gelesen hatte, aber sie kannte Kade und glaubte, daß sie dennoch sehr wohl eine sehr genaue Vorstellung über die wichtigsten Aussagen darin haben könnte – mehr, als Inos durch ihre Studien. Was sie wirklich brauchte, war jemand, mit dem sie darüber reden konnte. Aber wer?
    Die Tür der Bibliothek schwang in ihren gut geölten Angeln auf und ließ einen Lakaien herein, einen unbeholfenen Burschen mit Babygesicht, der sich mit großen Augen suchend umsah.
    Dem Frühling würde also der Sommer folgen, und Inos würde mit Tante Kade nach Krasnegar zurückkehren, und in einem Jahr oder zwei würden sie wieder nach Kinvale kommen und es noch einmal versuchen. Sie war noch jung. Andor konnte nicht der einzige erträgliche Mann auf der Welt sein.
    Der Regen platschte wieder auf die Erde, lauter als zuvor, und Inos starrte auf die Fenster, ohne sie wirklich zu sehen. Warum waren die Götter so grausam? Warum hatten sie ihr den perfekten Kandidaten zugespielt, bevor sie verstehen konnte, wie unglaublich herausragend er war – und ihn dann von ihr fortgerissen? Natürlich, er hatte dafür gesorgt, daß sie ihren Verstand nicht verlor. Er hatte Kinvale erstrahlen lassen wie ein Gott auf Urlaub. In nur wenigen kurzen Wochen hatte er ihr gezeigt, wie sie leben sollte, hatte demonstriert, wie das Leben sein konnte. Doch ihr Vergleich >Kinvale-mit-Andor< zu >Kinvale-ohne-Andor< war wie der Vergleich zwischen Krasnegar und Kinvale. Als er fortging, waren die Schatten zurückgekehrt – nicht ganz so tief, aber viel ernüchternder. Er hatte von morgens bis abends vor Freude geleuchtet, ein bodenloser Quell von Vergnügen, Lebensfreude, Unterhaltung, Schmeichelei, ernsthafter Gespräche und – und Leben.
    Abscheulich war er nicht.
    Fünf Monate! Jetzt wußte sie es besser. Jetzt, wo sie älter und reifer war, konnte sie verstehen, daß das naive Kind, das sie damals gewesen war, für einen Mann von Welt wie Andor nicht wirklich von Interesse gewesen sein konnte. Aber er hatte Mitleid mit ihr gehabt, sie unterhalten und aufgemuntert. Dann, als er die jugendliche Vernarrtheit erkannte, die er in ihr hervorgerufen hatte, fand er einen Weg, sich vornehm zu zurückzuziehen. Die dramatische, übereilte Flucht in die Dunkelheit, die romantische Geschichte von Ehre und Gefahr – das war viel freundlicher gewesen als ihr einfach zu sagen, er habe jetzt wichtigeres zu tun, vielen Dank. Er hatte gewußt, daß sie schnell erwachsen werden würde, und dann, wenn sie reif genug wäre, um auf ihren eigenen Füßen zu stehen
– wie es jetzt der Fall war – würde sie verstehen, daß alles nur ein Trugbild gewesen war. Und alles nur zu ihrem Besten.
    Ein Räuspern erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie blickte auf und sah den jungen Lakaien, der vor Tante Kade von einem Fuß auf den anderen trat und mit dem enormen Problem kämpfte, eine träumende Prinzessin durch ein Räuspern aufzuwecken, das nicht so laut sein durfte, auch

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