Dave Duncan
ungefähr an derselben Stelle, an der er zuvor gelegen hatte.
3
Rap wurde mit Fußtritten geweckt und aufgefordert, sich beim Than zu melden.
Alles drehte sich, und er eilte stolpernd davon, verwirrt durch die neuen Bewegungen des Schiffes. In seinem Zustand war Hinfallen unvermeidbar, aber es gelang ihm, nur gegen unbelebte Dinge zu taumeln – Ruder, Bänke, Kübel. Wäre er auf einem schlafenden Jotunn gelandet, hätte es ihn sicherlich die Hälfte seiner Zähne gekostet.
Soeben ging die Sonne an einem blauen und vielversprechenden Himmel auf. Der Wind blies kräftig, aber nicht mehr gefährlich, und die Blood Wave eilte mit den letzten Überresten des Sturmes gen Norden. Selbst das Kreischen von Holz und Seilen hatte einen fröhlicheren Ton angenommen. Vielleicht würde er heute zum ersten Mal seit Durthing trocknen? Er erreichte das Achterschiff und fiel vor dem Thron, wo es sich Kalkor gerade gemütlich machte, auf die Knie.
Einige Minuten lang wurde Rap ignoriert, während der Than suchend in einem Lederbeutel herumwühlte. Auf dem ganzen Boot rührten sich die Männer, sie erhoben und streckten sich, kratzten sich und fluchten.
»Rollt das da auf.« Der Than gestikulierte in Richtung Hängematte, also erhob sich Rap und ging zur Hängematte hinüber. Er konnte sich unter der niedrigen Decke nicht aufrichten, aber in seinem Zustand verspürte er auch kein Bedürfnis danach. Er war zitterig und schwach wie ein krankes Kätzchen und taumelte bei jeder Bewegung des Schiffes hin und her.
Er stopfte Hängematte und Decke auf den Berg von Diebesgut, aber bevor er sich wieder hinknien konnte – oder einfach hinfallen –, streckte Kalkor ihm eine Hand entgegen. Rap starrte in benommener Verständnislosigkeit auf seine Last und sah dann die arrogante, blaue Verachtung des Jotunn.
»Für jeden Schnitt verliert Ihr einen Finger.«
Das war ohne Frage ein Rasiermesser. Mit offenem Mund griff Rap danach, öffnete es und fand die feinste Stahlklinge, die er je gesehen hatte, offensichtlich zwergischen Ursprungs. Er prüfte die Schneide; bevor er etwas spürte, quollen kleine Tropfen Blut aus seinem Finger hervor.
»Narr!« sagte Kalkor. »Nun, Ihr kennt die Regeln. An die Arbeit.«
Raps Hände waren immer noch steif und geschwollen, und wenn sie vorher nicht gezittert hatten, so zitterten sie jetzt ganz gewiß. Er ging auf den Stuhl zu und versuchte, seinen Kopf gegen die Balken über seinem Kopf zu lehnen – wäre er nur einen Bruchteil größer gewesen, hätte er sich mit den Schultern anlehnen können. Er stand über Kalkor gebeugt, und war viel zu nahe, um sich bequem zu bewegen oder einfach nur leicht arbeiten zu können. Der Than bot ihm sein Gesicht dar… und seinen Hals.
Warum sollte Rap ihm nicht einfach die Kehle durchschneiden?
Kalkors himmelblaue Augen funkelten. Er wußte, was Rap dachte, und er lächelte ihn so betörend an wie eine Geliebte. Als er sprach, klang seine Stimme ganz sanft. »Denkt nicht einmal daran.«
Es war eine absolut unmöglich Aufgabe, auf einem schwankenden, hüpfenden Boot, einen Mann trocken zu rasieren, im Zustand der Erschöpfung, wenn der kleinste Ausrutscher eine Verstümmelung nach sich ziehen konnte – denn Kalkors Drohungen waren niemals leer. Schon die Aussicht ließ Rap den Schweiß am ganzen Körper ausbrechen. Es war absolut wahnsinnig, völlig unmöglich! Genauso hätte er darum bitten können, nach Zark zu fliegen.
»Ich gebe Euch noch fünf Sekunden«, sagte Kalkor.
Rap ergriff die Nase des Thans und zog daran. Der Jotunn streckte seine Oberlippe, und Rap strich mit dem Rasiermesser darüber. Mit diesem Strich hatte er keinen Finger verwirkt. Er wischte die Klinge an seinem Ärmel ab und bereitete sich auf den nächsten Strich vor. Kalkor hatte sich seit mehreren Tagen nicht rasiert; seine goldenen Stoppeln waren lang und fest, seine Haut trocken und überraschend weich. Raps eigenes Gesicht war, wie sein ganzer Körper, in Schweiß gebadet. Wäre er soeben aus dem Wasser gestiegen, hätte er nicht feuchter sein können.
Warum sollte er Kalkor nicht einfach die Kehle aufschlitzen? Der Mann war ein unerhörtes Monster, das mordende, vergewaltigende, plündernde Grauen ohne seinesgleichen. Selbst diese ganze Charade um die Rasur war eine Form der Folter. Die Mannschaft würde zusehen und lachen – und den Mut ihres Anführers bewundern. Rap hatte hier die Gelegenheit, die Welt für alle Menschen sicherer zu machen, und jeder halbwegs anständige Mann
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