Dave Duncan
rann.
Die Unbeweglichkeit mußte den Krieger frieren lassen, doch er zeigte keinerlei Anzeichen, daß er fror. Er lehnte sich zurück, eine Statue aus harten Muskeln und eisigem Starren, und einige Minuten lang sagte er nichts. Dann beugte er sich vor und fand ein drittes Ruder, das er achtern ins Wasser tauchte und unter seinen Arm klemmte, um zu steuern. Er hatte offenbar keinen Kompaß, und die Welt hörte in weniger als einer Kabellänge in jede Richtung einfach auf. Dennoch wirkte er nicht beunruhigt. Es sah nicht so aus, als könnte ihn irgend etwas beunruhigen.
Virgorek zog und zog und bald wurde ihm heiß. Er hatte es in letzter Zeit zugelassen, daß er weich wurde – Handflächen und Arme… Er ließ nicht in seiner einmal gewählten Geschwindigkeit nach.
»Wie weit?« keuchte er.
»Weit genug.«
Der Fremde öffnete mit seiner freien Hand den Beutel. Er nahm nacheinander jede Rolle heraus, starrte auf die Siegel und Inschriften, als könne er sie lesen. Es war so gut wie sicher, daß er nur so tat, als ob – er bewegte nicht einmal seine Lippen! Nur sehr wenige Jotnar lernten lesen, weil ihre Augen auf nahe Entfernung nicht gut sehen konnten.
Doch dann legte er den Geleitbrief wieder in die Tasche und warf den Brief des Imperators ungeöffnet über Bord. Virgorek wollte protestieren, doch er besann sich eines besseren.
Schließlich folgte die dritte Rolle, der Brief des Botschafters, der zweiten nach. Das war zuviel.
»Hey!« rief Virgorek und holte die Ruder aus dem Wasser. Das Pergament schwamm oben, und die Tinte würde vielleicht nicht auswaschen, wenn das Papier schnell eingeholt wurde.
»Hey was?« Der Fremde sah ihn wachsam an.
»Das ist wichtig!«
»Ist es nicht. Es würde Kalkor nur warnen, daß das Impire ihm eine Falle stellen will. Das weiß er.«
Plötzlich lächelte der Krieger.
Virgorek tauchte eilig seine Ruder wieder ein. Dieses Lächeln gefiel ihm nicht. Einige Jahre unter Imps gaben einem Mann das Gefühl, hart zu sein, doch jetzt fragte er sich, ob er überhaupt wichtiger war als diese abgeworfenen Schriftrollen. Derartige Gedanken machten einen Mann schrecklich schnell viel weniger hart.
»Warum tut er das?«
»Tut was?« Die blauen Augen wurden weit, das Lächeln wurde breiter.
»Nach Hub gehen! Sich selbst in die Klauen des Impires begeben! Sie werden ihn niemals entkommen lassen!«
Immer noch dieses Lächeln… »Wer weiß? Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der tapfer genug gewesen wäre, ihn zu fragen.«
Ruder quietschten, Wasser zischte an den Planken. Das Tempo hinterließ jetzt Spuren bei Virgorek, und er bedauerte seinen anfänglichen Enthusiasmus.
Der Krieger lehnte sich leicht auf sein Steuerruder, und das Boot drehte ab, und immer noch war nichts zu sehen außer dem allgegenwärtigen
Nebel.
»Warum fragt Ihr ihn nicht? Wenn wir das Schiff erreichen?«
Virgorek fragte sich, ob er jemals in seinem Leben echte Angst gespürt hatte. »Nein! Ich glaube nicht, daß ich das tue.«
»Dann werdet Ihr vielleicht wieder Land sehen«, antwortete Than Kalkor freundlich, »aber nur, wenn Ihr noch viel schneller rudert als jetzt.«
4
Der Herbstregen weckte stets Ekkas Rheuma, und dieses Jahr waren die Schmerzen besonders stark. Bedenklich stark. Widerwillig war sie im Bett geblieben, und dort lag sie nun, gestützt von warmen Steinen, die in Flanell gewickelt waren, hingegossen auf einem Haufen Kissen, und sie wünschte sich, sie hätte an diesem Morgen nicht darauf bestanden, sich im Spiegel anzusehen. Ein grauer Teint paßte ganz entschieden nicht zu ihren bernsteinfarbenen Zähnen.
Als letzter unerträglicher Reiz war er hier, ihr idiotischer Sohn, fetter und inkompetenter als je zuvor, und trat am Fußende ihres Bettes von einem glänzenden Schuh auf den anderen und zupfte an seiner Hängelippe. Ein tadellos gekleideter Einfaltspinsel! Der Gedanke, daß Angilki jemals versuchen könnte, in Kinvale ohne sie fertigzuwerden, reichte aus, einen Gott blasphemisch werden zu lassen.
»Es ist vom Imperator!« winselte er wieder.
»Das kann ich sehen, Dummkopf!« Selbst ihre alten Augen kannten das imposante Siegel, und sie konnte genug von der kritzeligen Schrift des Schreibers erkennen.
»Er will, daß ich nach Hub komme!«
»Und?«
»Und was?«
»Und, worauf wartest du? Oder hast du vor, dich zu weigern?«
Angilkis Gesicht, das bereits bläßlich war, wurde noch fahler. Vielleicht hatte er gehofft, daß sie ihm ein Entschuldigungsschreiben gab?
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