Dave Duncan
seine Zehen und Ohren wurden gefühllos. Little Chicken hatte nicht mehr Kleidung an als er, aber er grinste über Raps Unbehagen und schlenderte langsamen Schrittes, um zu zeigen, wie wenig die Kälte ihm ausmachte. Ihr Ziel war ein Müllberg hinter dem großen Haus, wo Überreste vom Essen durch eine Klappe gelassen und gesammelt wurden. Der Köter und seine Bande schnüffelten dort auf der Suche nach Eßbarem herum. Alles, was eßbar war, wurde vom nächstbesten Hund geschnappt, der daraufhin davonraste, um allein zu speisen. Alles andere war schon bald niedergetrampelt und fror am Boden fest.
Little Chicken machte Eßbewegungen und zeigte auf den Müllhaufen.
Rap schüttelte den Kopf und wandte sich ab, doch zuvor hatte er das hämische Vergnügen gesehen – ein Mann würde alles essen, wenn er nur hungrig genug war. Morgen oder übermorgen würde Rap beim Müllhaufen zu finden sein und sich mit den Hunden um die Abfälle streiten.
Wieder in der Hütte, wurden Rap bald die Regeln klar. Er konnte hinausgehen, wann immer er wollte, doch er durfte keines der Fellkleider oder Wildlederumhänge nehmen, die auf einem Haufen an der Tür lagen. Barfuß und Unterhosen war alles, was ihm gestattet wurde. Das begrenzte seine Bewegungen, als wäre er angekettet. Auch die anderen Gebäude durfte er nicht betreten.
Das Blockhaus beherbergte 34 Jungen im Alter vom Kleinkind bis zu Little Chicken, der bei weitem der älteste und größte war und ganz bestimmt der Anführer. Die Männer hatten im Winter nur wenig zu tun, denn die Frauen machten die ganze Arbeit. Die Jungen verbrachten ihre Zeit mit Schlafen, sie kämmten sich ihr langes Haar und rieben sich mit ranzigem Bärenfett ein, das ihnen diesen ekelerregenden Geruch verlieh. Weil er dachte, es könnte irgendwie die Kälte von ihm fernhalten, versuchte Rap es ebenfalls, aber der einzige Vorteil, den er erkennen konnte, war, daß seine Haut nicht mehr rissig wurde. Er fühlte sich damit nicht wärmer, stank dafür aber genauso furchtbar wie die anderen.
Außerdem spielten sie komplizierte Spiele mit Stöcken und einem Brett und rangen miteinander. Little Chicken liebte das Ringen, aber es gab niemanden, der ihm hätte standhalten können. Rap wäre zwar in Frage gekommen, aber es mußte einen Grund geben, warum Little Chicken sich nicht über ihn hermachen durfte, wofür Rap außerordentlich dankbar war. Deshalb organisierte Little Chicken Teams mit anderen Jungen, normalerweise Fledgling Down und Cheep-Cheep, die beiden ältesten nach ihm, aber manchmal auch mit vier oder fünf kleineren Jungen. Dann trat er gegen das ganze Team an. Er gewann immer und warf seine Gegner schließlich gegen die Wand.
Innerhalb weniger Stunden deckte Rap, allein durch Zuhören, die Geheimnisse ihrer Sprache auf. Es gab vergleichsweise wenig Worte, die auf einfache Weise benutzt wurden. Viele waren genau dieselben, die er kannte, und viele andere waren sehr ähnlich, hatten jedoch bestimmte Laute, die anders ausgesprochen wurden – th wie t und f wie p – und einige andere. Schon bald konnte er das Gerede verstehen.
Dann machte er den Fehler, eine Frage zu stellen. Little Chicken brüllte los: »Nicht antworten!« und sprang auf. Er kletterte zu ihm hinüber und setzte sich mit gekreuzten Beinen vor Rap in Positur. »Du sprechen jetzt?« verlangte er eifrig zu wissen.
»Ich spreche langsam.«
Das waren angenehme Nachrichten. »Sieben Tage bekomme ich meinen Namen!« Little Chicken grinste und zeigte dabei seine übergroßen Koboldzähne.
Rap blickte ihn verständnislos an.
»Neuer Name! Nicht Little Chicken – Death Bird. Todesvogel.«
»Guter Name!« sagte Rap höflich. Da er das Wort für Tätowierungen nicht wußte, malte er mit einem Finger Figuren um seine Augen, und ein heftiges Nicken zeigte ihm, daß er richtig geraten hatte.
Offensichtlich war das Ganze ein Schwindel. Little Chicken war mindestens zwei Jahre älter als die anderen Jungen, und Rap hatte bereits einige tätowierte und verheiratete Männer bemerkt, die nicht älter sein konnten. Also war Little Chicken zurückgehalten worden – die Frucht war auf dem Baum belassen worden, bis sie überreif war – damit er bei den Prüfungen, was immer das sein mochte, eine unfaire Chance auf den Sieg hatte. Jetzt war dieser leicht zu besiegende Fremde aufgetaucht, der den Wettkampf noch unfairer machte. Little Chicken war berechtigterweise zufrieden.
»Erzählst du mir von den Prüfungen?« fragte Rap.
Little Chicken
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