Dave Duncan
sah ihn überrascht an, und ein Ausdruck großen Entzükkens trat auf sein breites, häßliches Gesicht, als ihm das Ausmaß von Raps Unwissen klar wurde. »Nein!« Er wirbelte herum und rief den anderen einige Befehle zu – niemand durfte über die Prüfungen sprechen. Glücklich wandte er sich wieder seinem Opfer zu.
»Nach Prüfungen habe ich einige gute Ideen!«
»Ja?« Rap war sicher, daß er da anderer Meinung war.
»Ich mache kleine Feuer auf deiner Brust!«
Rap war anderer Meinung.
»Ich reiße Ohren ab und lasse sie dich essen!«
»Ich reiße kleinen Hühnchen Federn aus«, sagte Rap fest.
»Flat Nose!« schnaubte Little Chicken. »Ich ziehe deine Zehen durch deine Nase.«
Rap gackerte laut und verschränkte seine Arme. Das wirkte. Little Chikken knirschte vor Wut beinahe mit den Zähnen, während einige der mutigeren Jungen hinter ihm kicherten.
Danach kam Little Chicken immer wieder zu ihm, setzte sich hämisch grinsend neben ihn und kündigte irgendwelche neuen Greueltaten an, die er sich gerade ausgedacht hatte, doch das gackernde Geräusch war eine gute Antwort. Es machte ihn rasend, und manchmal ließ er sich davon auch vertreiben. Entweder hielt ihn irgendeine Vorschrift davon ab, Gewalt anzuwenden, oder er sparte sie sich für später auf.
Die schauerlichen Drohungen waren unglaublich, fand Rap – einfach eine weitere Strategie – wie schon zuvor der Müllhaufen – um das Opfer mürbe zu machen. Er nahm sich fest vor, sich dadurch nicht einschüchtern zu lassen, doch das war nicht so einfach. Als das Dorf sich zur Nachtruhe begab, war er vor lauter Hunger ganz schwach und wirr im Kopf.
Aber er hatte die Sehergabe. Er hatte das Lebensmittellager ganz leicht ausgemacht, in einem Raum hinter dem Haus der unverheirateten Frauen, und an den Türen schien es keine Schlösser zu geben. Er lag zwischen den schlafenden Jungen, wachgehalten vom Knurren seines Magens, und wartete lange Stunden, bis der ganze Stamm eingeschlafen und jegliche Tätigkeit versiegt war, selbst in den Quartieren der Eheleute. Dann stand er auf, zog sich die größten Wildlederkleider an, die er auf dem Haufen an der Tür finden konnte – sie konnten nur Little Chikken gehören – und schlich sich leise hinaus in die Dunkelheit.
Bei diesem Klima gab es keine Wachtposten. Die Hunde paßten auf, und Köter war der erste, der ihn entdeckte, doch Köter war offenbar besonders empfänglich für das, was Rap mit Hunden machen konnte, was immer es auch war. Er kam schnüffelnd näher und ließ sich die Ohren kraulen. Wenn Köter kein echter Wolf war, dann war er doch ganz nahe daran, aber für seinen neuen Freund legte er sich hin und verlangte, daß er ihm die Brust kraulte. Dann begleitete er Rap an der großen Hütte vorbei, in der die Männer mit ihren Frauen schliefen, hinüber zum Haus der unverheirateten Frauen.
Dankbar schlüpfte Rap hinein und verhinderte Köters Versuche, ihm zu folgen. Er stand im Dunklen, bis seine heftig zitternden Gliedmaßen sich wieder beruhigt hatten. Auf der anderen Seite lagen die jungen Mädchen, die alten Frauen lagen davor. Es gab zwei Feuerstellen, aber die Feuer waren eingedämmt, und es war halbdunkel. Zitternd vor Hunger und Nervosität bahnte er sich ganz langsam einen Weg zu der großen Speisekammer, welche die hintere Hälfte des Gebäudes einnahm, und ging dabei um die Schlafenden herum oder stieg über sie hinweg. Hier war das heiligste aller Heiligtümer des Stammes: die Nahrungsmittel für den Winter und die unverheirateten Mädchen. Kein Ort konnte ein größeres Tabu für Fremde sein, aber Rap hatte nichts mehr zu verlieren.
Er hielt seinen Atem an, sandte ein stilles Gebet gegen knarrende Türen gen Himmel, öffnete ruhig die große Tür und schnappte sich eilig ein Stück gefrorenen Fisch. Er schloß die Tür wieder, drehte sich um – und sein Herz machte einen wilden Satz, als wolle es versuchen, allein zu entkommen und fortzufliegen nach Krasnegar. Eine winzige Frau stand vor ihm und blickte zu ihm herauf, wegen ihres großen Buckels nur unter Schwierigkeiten – eine verschwommene Silhouette mit Buckel, vollkommen verhüllt von einem voluminösen Kleid und der Kapuze ihrer weibischen Koboldkluft. Ihr Gesicht schien im Licht der glühenden Asche dunkel und verschwommen, aber er konnte Falten erkennen, und sie war offensichtlich sehr alt.
Scheinbar eine kleine Ewigkeit lang sprach niemand ein Wort. Er spürte, wie Schweiß an seinen Rippen hinunterlief wie Eis. Warum
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