Dave Duncan
merkwürdigen Leuten unterzeichnet. Seine Hoheit hat für einen Mann seines Standes viele eigenartige Freunde – Künstler und Hausbauer. Der Adel schreibt natürlich untereinander dauernd Empfehlungsschreiben, aber eine von Sir Andors Referenzen kam von einem Künstler, eine andere von einem Wissenschaftler. Die meisten Adligen würden solche Briefe nicht akzeptieren.«
»Und die anderen?«
»Von ziemlich niedrigem Adel. Ekka hat Nachforschungen angestellt. Jetzt geben sie zu, daß sie ihn kaum kennen.«
Ein gefährliches Stirnrunzeln zog über das Gesicht ihrer Nichte. »Willst du damit andeuten, Sir Andor sei ein Betrüger? Ein Hochstapler? Weil–«
»Ich deute nichts dergleichen an, Inos. Du hast fünf Wochen in seiner Gesellschaft verbracht. Ihr müßt doch über euch gesprochen haben. Also erzähle mir von ihm.«
Inos drehte sich schnell zum Fenster um. Ihre Hände waren unaufhörlich in Bewegung. »Er mußte wegen einer Ehrensache fort. Es ist vielleicht gefährlich, hat er gesagt. Aber er hat versprochen, zurückzukommen, und ich glaube ganz sicher–«
»Danach habe ich nicht gefragt, Liebes.« Kade sprach leise und ging ganz behutsam vor. »Wer ist sein Vater? Hat seine Familie Geld? Land? Titel?«
Inos, die plötzlich viel jünger aussah – eher wie ein in die Enge getriebenes Rehkitz – antwortete: »Diese Dinge waren nicht von Bedeutung!«
»Sie sind nicht von großer Bedeutung, da stimme ich dir zu. Ein guter Mann ist ein guter Mann, und ich glaube, dein Vater würde sogar einen Bürger akzeptieren, wenn er ein Mann von Ehre mit guten Eigenschaften wäre. Aber sie könnten von Bedeutung sein, wenn es Sir Andor mit Bedacht darauf abgesehen hat, das Herz einer Prinzessin zu erobern, indem er vorgibt, etwas anderes zu sein, als er in Wirklichkeit ist.«
»Das hat er. Er hat das Herz einer Prinzessin gewonnen.«
»Dann ist es von Bedeutung. Inos, das mußt du doch verstehen?«
Wieder wandte Inos ihren Kopf, um die verschneite Landschaft hinter dem Fenster zu betrachten, die schwebenden Schneeflocken. Das große Pendel hinter ihr ließ weitere Sekunden ihres Lebens verstreichen.
»Ja«, sagte sie schließlich. »Ich verstehe. Ich verstehe es jetzt. Ich weiß nicht – er hat mir nichts über seine Familie erzählt.«
»Du hast ihn nicht danach gefragt?«
»Nein. Das habe ich nicht. Ich würde es jetzt tun, glaube ich… Er ist gescheit, viel umhergereist. Er hat sehr viel Erfahrung. Und Charme! Oh, Tante, du mußt zugeben, daß er Charme besitzt!«
»Tonnenweise Charme! Ganze Schiffsladungen Charme. Sehr gute Gesellschaft, da stimme ich zu. Krasnegar wäre ein viel hübscherer Ort, wenn Andor dort wäre.«
»Selbst den Jotnar würde er gefallen! Innerhalb einer Woche würde er alle für sich gewinnen.«
»Eisbären würden ihm den Fang des Tages bringen.« Das war ein Witz zwischen Kade und Holi gewesen, als sie noch Kinder waren.
Inos verstand ihn nicht. »Er ist offensichtlich ein Gentleman.« »Offensichtlich hat er sich wie ein Gentleman benommen, als er hier war.«
Inos errötete vor Wut. »Ja, das hat er!«
»So habe ich es nicht gemeint, Liebes. Er hat nicht gesagt, wann er zurückkommen würde?«
»Nein. Aber er wird zurückkommen! Ich bin sicher.«
»Dann müssen wir einfach nur warten, schätze ich.«
»Und in der Zwischenzeit weiter der Parade zusehen?«
»Ekka sagt, sie hat bald keine Kandidaten mehr.«
»Gut!«
Kadolan biß sich auf die Lippen. Dieses Gespräch hatte offensichtlich seinen Zweck erfüllt und sollte jetzt zum Ende gebracht werden, aber sie hatte noch einen Löffel Weisheit zu verabreichen. Auch er würde bitter schmecken, aber besser jetzt, wo Inos sich ohnehin schon aufregte, als sie bei einer anderen Gelegenheit noch einmal gegen sich aufzubringen. Aus Krasnegar hatte es immer noch keine Nachricht gegeben, und das, obwohl sie schon lange ein paar Worte hätten erreichen sollen. Es wäre nicht fair, Inos mit reinen Vermutungen zu belasten – und Kade ermahnte sich immer wieder, daß es nur Vermutungen waren – aber die Zeit könnte genausogut knapp werden, und das Kind hatte vielleicht den Einsatz vergessen, um den hier gespielt wurde.
»Welches Urteil triffst du, mein Liebes?«
Inos runzelte die Stirn. »Worüber?«
»Über wen. Wie beurteilst du die Kandidaten? Vergleichst du sie mit Sir Andor?«
»Mit Vater.«
Das konnte nicht wahr sein. »Dann vergleichst du sehr junge Männer in einer schwierigen und ungewohnten Umgebung mit
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