David und Goliath
Ergebnis ist auf der folgenden Seite zu sehen:
Diesmal kamen die Studierenden von Princeton auf einen Durchschnitt von 2,45 richtigen Antworten und schnitten damit sogar deutlich besser ab als die des MIT. 49
E in Ball und ein Schläger kosten zusammen 1 Dollar und 10 Cent.
Der Schläger kostet 1 Dollar mehr als der Ball.
Wie viel kostet der Ball?
Ist das nicht komisch? Man sollte doch meinen, dass wir Aufgaben umso besser lösen, je klarer und einfacher sie gestellt sind. Doch das Gegenteil ist der Fall. Serifenlose, kursive, hellgraue 10-Punkt-Schrift macht das Lesen extrem anstrengend. Man muss die Augen ein bisschen zusammenkneifen und jeden Satz zweimal lesen, und irgendwann fragt man sich vermutlich, wer zum Teufel auf die Idee gekommen ist, die Fragen derart unleserlich auszudrucken. Man muss sich richtig anstrengen, um die Frage auch nur lesen zu können.
Doch der Aufwand lohnt sich offenbar. Wenn sich die Frage nicht mehr flüssig liest, »sind wir gezwungen, intensiver darüber nachzudenken«, wie Alter sagt. »Wir müssen mehr Ressourcen aufwenden. Wir verarbeiten das Gelesene besser oder denken genauer darüber nach, was hier eigentlich vorgeht. Wenn wir ein Hindernis überwinden müssen, dann schaffen wir das eher, wenn wir gezwungen sind, intensiver darüber nachzudenken.« Alter und Oppenheimer machten den CRT ein bisschen schwieriger. Doch dabei stellte sich heraus, dass diese zusätzliche Schwierigkeit ein Vorteil war.
Natürlich haben nicht alle Schwierigkeiten ihre guten Seiten. Was Caroline Sacks in ihrer Einführung in Organische Chemie erlebte, war eine ausgesprochen unerwünschte Schwierigkeit. Sie war eine wissbegierige, fleißige und talentierte Studentin mit einem Faible für Naturwissenschaften, und es brachte ihr rein gar nichts, in eine Situation zu kommen, in der sie sich fehl am Platz fühlte. Dieser Kampf brachte ihr die Wissenschaft kein Stückchen näher, im Gegenteil, er schreckte sie ab. Doch unter anderen Umständen kann die intensive Auseinandersetzung das Gegenteil bewirken: Ein Hindernis, von dem man annehmen würde, dass es dem Underdog jede Aussicht auf Erfolg nimmt,verbessert sie in Wirklichkeit, genau wie Alters und Oppenheimers serifenlose, kursive, hellgraue 10-Punkt-Schrift.
Könnte Legasthenie am Ende eine solche wünschenswerte Schwierigkeit sein? Das ist schwer zu glauben, wenn man sich klarmacht, wie viele Menschen ein Leben lang mit dieser Behinderung ringen. Wäre da nicht eine merkwürdige Tatsache: Erstaunlich viele erfolgreiche Unternehmer sind nämlich Legastheniker. In einer neueren Untersuchung schätzte Julie Logan von der University of London den Anteil sogar auf etwa ein Drittel. 50 Auf ihrer Liste stehen viele bekannte und innovative Unternehmer der vergangenen Jahrzehnte. Der britische Milliardär Richard Branson ist Legastheniker, genauso wie Charles Schwab, der Gründer der gleichnamigen Maklerfirma. Handy-Pionier Craig McCaw gehört ebenso dazu wie JetBlue-Gründer David Neelman, Cisco-CEO John Chambers oder Kinko-Gründer Paul Orfalea, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. In einem Vortrag vor prominenten Sponsoren ihrer Universität – fast durchweg erfolgreiche Unternehmer – fragte die Neurowissenschaftlerin Sharon Thompson-Schill einmal aus einer Laune heraus, welcher der Anwesenden jemals als lernbehindert diagnostiziert worden war. »Die Hälfte hob die Hand«, sagt Thompson-Schill. »Ich konnte es kaum glauben.«
Für diese bemerkenswerte Tatsache gibt es zwei Erklärungen: Entweder waren diese Menschen trotz ihrer Behinderung erfolgreich, das heißt, sie waren so intelligent und kreativ, dass sie sich durch nichts aufhalten ließen. Oder Richard Branson und seine Kollegen waren gerade wegen ihrer Behinderung erfolgreich, das heißt, sie lernten in ihrem Kampf mit der Behinderung etwas, das sich als gewaltiger Vorteil herausstellte. Würden Sie Ihrem Kind Legasthenie wünschen? Wenn die zweite Erklärung zutrifft, dann vielleicht schon.
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David Boies wuchs in einer landwirtschaftlichen Region des Bundesstaates Illinois auf. Er war das älteste von fünf Kindern, seine Eltern waren beide Lehrer. Als er klein war, las ihm seine Mutter Geschichten vor. Er lernte das Gehörte auswendig, damit es später so wirkte, als könne er es selbst lesen. Erst in der dritten Klasse lernte er lesen, und auch dann las er nur langsam und mit großen Schwierigkeiten. Erst Jahre später erfuhr er, dass er ein klassischer Legastheniker war.
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