Davids letzter Film
Kulisse eines wissenschaftlichen Experiments ist.«
Florian ließ sie nicht aus den Augen.
»Das Haus, die Mitglieder, die Rituale, das tote Mädchen, alles nur eine gigantische Show, um den Helden zu täuschen, aufgezogen
von einer Gruppe von Wissenschaftlern, die herausfinden wollen, wie weit ihr Versuchskaninchen geht, um von seiner Gemeinschaft
akzeptiert zu werden.«
»Um von seiner Gemeinschaft akzeptiert zu werden?«
»Ja. All die Exzesse, zu denen er sich hat hinreißen lassen, haben in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden,sondern waren nur vorgespielt. Das wusste der Junge aber nicht. Und er hat mitgemacht. Er hat den vermeintlichen Tod des Mädchens
in Kauf genommen, obwohl er wusste, dass es falsch war. Einzig und allein, weil die anderen ihn dazu gedrängt haben.«
»Und als er erkennt, dass sie ihn getäuscht haben?«
»Bricht für ihn eine Welt zusammen.«
»Er hat sich verführen lassen.«
»So kann man es sagen.«
Flo goss sich von dem Mineralwasser ein. »In den Kritiken, die ich gelesen habe, wurde gesagt, dass die außergewöhnliche Wirkung
des Films auf der Geschichte eines Mannes beruhe, der sein Gewissen abschaltet. Das hätte man in noch keinem anderen Film
so gesehen.«
Thea nickte. »Ohne die Wendung am Ende, dass diese Entwicklung von Wissenschaftlern gesteuert war, wäre es nicht nur eine
niederschmetternde, sondern auch eine abstoßende Geschichte gewesen.«
»Und ausgerechnet diese Wendung wollte der Geldgeber nicht?«
Thea nickte. »Er wollte, dass es endet mit einem Helden, der vollkommen in seiner Verbindung aufgegangen ist. Egal, wie pervers
sie ist.«
Flo atmete aus. Ein unangenehmer Gedanke.
»Aber in dem Punkt ließ David nicht mit sich reden«, fuhr sie fort. »Er meinte, ohne sein Ende, ohne die Wissenschaftler wäre
der Film unerträglich. Und ich glaube«, fügte sie hinzu, und dabei machte das Lächeln, das Florian eben noch in ihren Augen
hatte blinken sehen, einem ernsten, traurigen Schatten Platz, »damit hatte er recht.«
18
Das Hupen war ohrenbetäubend. Es fuhr Florian durch Mark und Bein. Gerade noch konnte er sich zurück auf den Bürgersteig werfen.
Dann donnerte der tonnenschwere Lkw an ihm vorbei. Millimeter von seinen Füßen entfernt. Genau dort, wo er eben auf die Straße
getreten war. Er hatte den Wagen überhaupt nicht gesehen!
Er rappelte sich auf und klopfte sich den Staub von Hose und Mantel. Seine Knie und Hände zitterten, sein Herz raste. Wenn
er einen Augenblick später reagiert hätte, hätte der Laster ihn voll erwischt. Vorsichtig ging er ein paar Schritte zu einer
Bank und setzte sich.
Im Einstein hatte er versucht, mehr von Thea zu erfahren. Mehr über Davids andere Filme, mehr über David und mehr über seinen
Geldgeber. Irgendwann war sie misstrauisch geworden. Ob er noch immer als Reporter arbeite, hatte sie wissen wollen. Als er
daraufhin zugab, dass seine Zeitung ihn für einen Artikel über David nach Berlin geschickt hatte, hatte sie ihr gemeinsames
Essen enttäuscht und abrupt beendet. Er hätte ihr reinen Wein einschenken müssen, hatte sie zum Abschied gesagt und sich in
ein Taxi gesetzt. Er hatte zwar noch einmal versucht, den Namen des Galeristen von ihr zu erfahren, aber sie hatte nur mit
dem Kopf geschüttelt.
Florians Blick fiel auf einen Passanten, der weiter unten auf dem Bürgersteig stehen geblieben war und zu ihm herüberzuschauen
schien, den Blick aber abwendete, als Flo ihn ansah. Hatte er den Mann schon mal gesehen? Aber wo? Er beobachtete, wie der
Mann seinen Weg fortsetzte, weg von dort, wo Florian saß. Der Mann hatte wohl bemerkt, dass er um ein Haar überfahren worden
wäre, und war nur kurz stehen geblieben, sagte sich Flo.
Seine Gedanken kehrten zu David zurück. Walter, Hannes, Thea. Wie verschlossen sie reagiert hatten, als er versucht hatte,
von ihnen mehr über David zu erfahren! Walter sowieso. Aber auch Hannes. Und jetzt Thea. Bei ihrer ersten Begegnung hatte
sie noch offen erzählt, was sie wusste – nachdem sie erfahren hatte, dass er für die Zeitung arbeitete, hatte sie ihn jedoch
rundheraus auflaufen lassen. Wirklich nur, weil sie ihm nun misstraute? Was hatte sie denn zu verbergen?
Er stand auf und ging langsam die Straße hinunter. Wie sollte er weiter vorgehen? Er hatte sich entschlossen, die Suche nach
David nicht so schnell aufzugeben. Aber was war mit dem Artikel? Hölzemann wartete doch darauf. Sollte er sich nicht am besten
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