Davids letzter Film
nächste Schritt auf dem Weg, von dem er in dem Interview gesprochen
hatte?
Flo ließ das Band weiterlaufen.
Ein deutsches Team aus Kognitionswissenschaftlern, Hirnforschern und Informatikern kam ins Bild. Anhand eines virtuellen Modells
der Augen und der Neuronenverbindungen im Gehirn setzten sie sich mit der Wirkung auseinander, die die Videos auf den Zustand
dieser Verbindungen hatten. Sie bestrahlten die Augen ihres Modells mit verschiedenen Bildmustern und zeigten, wie der Ruhezustand
des Gehirns zunehmend aus dem Gleichgewicht geriet. In bestimmten Regionen des Gehirnmodells bildeten sich Intensitätszentren,
während andere Bereiche gänzlich unberührt blieben. Überraschend anschaulich konnten die Wissenschaftler vorführen, dass scheinbar
einfache Muster wie Gitterblitze oder extrem rasch wechselnde Farbverläufe die bereits gebildetenIntensitätszentren weiter und weiter stimulierten, bis sich gewisse Grenzwerte einstellten, Grenzwerte, bei denen einzelne
Verbindungen aufgrund der Überbelastung auszufallen begannen.
Diese auf rein materieller Basis durchgeführte Veranschaulichung, so die Wissenschaftler, sage natürlich noch nichts über
das subjektive Empfinden derjenigen aus, die die Manipulationen erlebten. Ihre Interpretation der Daten lege jedoch nahe,
dass eine solche Überbelastung zu extrem anstrengenden Vorstellungsketten und Assoziationskaskaden führen müsse. Gleichwohl
könne eine
vorsichtige
Handhabung der Muster durchaus geeignet sein, um ein schwächeres Erlebnis hervorzurufen, das alles andere als unangenehm sei.
Unter experimentellen Bedingungen befragte Testpersonen hätten ihre Erfahrungen jedenfalls als die stärksten, aber auch angenehmsten
Emotionen beschrieben, die sie je erlebt hätten.
Wieder meldete sich der Kommentator zu Wort. Diese abgeschwächten Sequenzen würden dem Zuschauer jetzt – unter den vorhin
genannten Vorsichtsmaßnahmen – gezeigt.
Und dann liefen die Muster über den Bildschirm. Der Monitor wurde schlagartig monochrom rot eingefärbt, dann begann der Farbton
langsam zu pulsieren. Die Frequenz wurde beschleunigt, die Farbe heller, bis sich die Bilder zu einem gleißenden Flackern
gesteigert hatten. Eine Art stroboskopisches Licht, das die Augen rasch ermüdete und zur Folge hatte, dass in Flos Blickfeld
gelbe Lichtpunkte zu tanzen begannen, als der Monitor kurz darauf sekundenlang schwarz blieb. Es folgten Spiralen,Punktflecken und grelle Blitze, dass ihm ganz schwindlig wurde.
Er stoppte das Band, rieb sich die Augen und lachte.
Selbst Melzer musste grinsen. »Es sieht nach nicht viel aus. Trotzdem: Jedes Mal wenn ich die Bilder sehe, frage ich mich,
ob ich unbedingt da hineinstarren soll – oder doch lieber den verdammten Apparat einfach ausstellen!«
23
Mit tränenden Augen kam Florian aus dem Sender. Die grellen Farbblitze hatten es in sich gehabt – auch wenn die ganze Doku
eher ein Scherz gewesen war. Ein nettes Stück Fernsehgeschichte – mit den Gruselstorys, die ihm Riemschneider erzählt hatte,
hatte das aber nichts zu tun. Warum also war der Kripobeamte hinter David her, fragte er sich und entschied, dass es höchste
Zeit war, sich Tegtmeyer einmal vorzuknöpfen.
Als Florian jedoch vor der Galerie aus dem Taxi stieg, klingelte und gegen die Scheibe wummerte, öffnete ihm niemand. Durch
die Sichtschlitze war auch niemand zu sehen. Und niemand antwortete, als er die Nummer der Galerie wählte, die ihm die Auskunft
gegeben hatte. Nicht einmal ein Anrufbeantworter sprang an.
Der Taxifahrer, der am Straßenrand gewartet hatte, ließ das Seitenfenster herunter. Ob er ihn noch brauche?
Ärgerlich stieg Florian zurück in den Wagen. So kam er nicht weiter! Im Sender hatte er sich noch den Abspann der Tokio-Doku
angesehen und festgestellt, dass die Kameraarbeit wieder Hannes Marin gemacht hatte. Was hatte Hannes eigentlich für einen
Grund, derartig panisch vor ihm davonzulaufen, wenn alles, was David machte, harmlose Fernsehspielereien waren?
Er nannte dem Taxifahrer Marins Adresse, die er sich von Melzer hatte heraussuchen lassen. Dann musste er eben Hannes noch
einmal stören!
Während das Taxi über die Hauptverkehrsadern quer durch die Stadt rauschte, lehnte Flo sich in dem weichen Lederpolster zurück.
Fast war er froh, dass es nun doch nicht zu einer Begegnung mit Tegtmeyer gekommen war. Jedes Mal, wenn er an den Alten mit
der Perücke und dem Pelzkragen dachte, fröstelte
Weitere Kostenlose Bücher