Davids letzter Film
Blut. Okay. Und? Weiß der Teufel, was sie angestellt haben. Irgendeine wilde Szene, orgiastisch, exzessiv,
was weiß ich.« Er brach ab. Er wollte die Augen vor dem verschließen, was Riemschneider ihm da zeigte. Aber es ging nicht.
Der Beamte schlug die Mappe wieder zu und schob sie beiseite. »Wir haben auch den Film sichergestellt, der mit der Kamera
aufgenommen wurde. Typen wie Tegtmeyer, die stehen auf so was.« Er zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und zündete
sich eine an. Dann hielt er Flo das Päckchen hin. »Auch eine?«
Florian schüttelte den Kopf.
Riemschneider steckte die Zigaretten wieder ein. »Das, was Mosbach mit der Kamera hier gemacht hat, sind nicht einfach nur
illegale Filme. Die sind nicht einfach nur brutal oder sadistisch.«
»Sondern?« Flo starrte ihn an.
»Im Grunde genommen interessiert es uns überhauptnicht, ob ein Film dabei rauskommt oder nicht. Für uns entscheidend ist, dass Menschen gequält werden. Und zwar nicht nur
scheinbar, sondern wirklich.«
Flos Hände schlossen sich um die Armlehnen des Stuhls, auf dem er saß. Vielleicht würde sich noch alles klären. Das war doch
möglich, oder?
»Ich glaube nicht, dass Mosbach einer von denen ist, die solche Filme genießen«, fuhr Riemschneider fort. »Aber er macht sie.
Für Geld. Denn er braucht Geld. Für die anderen Sachen, die er machen will und die ihm keiner finanziert.« Er warf seinem
Kollegen einen Blick zu, der bis jetzt an der Tür des Raumes gestanden hatte. »Können wir?«
Der Kollege kam an den Tisch und betätigte eine Taste auf dem Notebook. Der Bildschirmschoner verschwand, darunter kam ein
Mediaplayer zum Vorschein, in dem jedoch noch kein Bild zu sehen war.
Florian holte Luft. »Muss ich mir das ansehen?«
Riemschneiders Gesicht war undurchdringlich. »Ge nau genommen nicht. Aber ich denke, Sie sollten es tun.«
Er gab seinem Kollegen ein Zeichen.
Und der fuhr den Film ab.
Wie in Trance starrte Flo auf den Bildschirm. Erst erkannte er gar nichts. Dann wurde ihm klar, was er sah. Es war ein Raum,
ringsum gekachelt. Decke, Wände, Boden. In der Mitte des Bodens befand sich ein Abfluss, darüber stand eine Pritsche. Auf
der Pritsche war ein junger Mann festgeschnallt, fast noch ein Junge. Seine Gesichtszüge wirkten ein wenig grobschlächtig,
die Stirn war niedrig, der Mund breit.
Flo schlug auf eine Taste des Notebooks, der Film fror ein.
»Die Bilder kenn ich«, stieß er hervor. »Der Film heißt ›Audience‹, ich hab ihn erst neulich gesehen. Er ist nicht von David.«
»Ich habe Ihnen doch gerade die Analyseergebnisse aus dem Labor gezeigt«, knurrte Riemschneider. »Auf jeden Fall hat Mosbach
die Kamera bedient, als die Aufnahmen gemacht wurden. Er war nicht der Einzige. Marins Abdrücke sind auch auf dem Gerät. Aber
Mosbach war dabei. Das steht fest.«
Also doch!, schoss es Flo durch den Kopf. Er hatte es immer geahnt. David hatte ihn angelogen. Natürlich war dieser Film von
ihm! Deshalb hatte er auch so betroffen reagiert, als Flo ihm erzählt hatte, dass er ein »Audience«- Screening besucht hatte. David hatte zwar dafür gesorgt, dass Hölzemann ihn nach Berlin schickte. Dass er eine Einladung zu »Audience«
bekam, hatte er jedoch nicht gewollt. Das war Hölzemanns Idee gewesen.
Aufgewühlt stieß Florian das Notebook zurück. »Aber dem Jungen wurde kein Haar gekrümmt!«
Riemschneider schnaubte. »Woher wollen Sie das wissen? Weil bei den Vorführungen jemand auftritt und das behauptet?«
Flo fühlte, wie seine Handflächen nass wurden. Er wollte etwas sagen, konnte aber nur nicken.
Riemschneider griff nach der blassroten Mappe, schlug sie noch einmal auf, holte ein weiteres Foto daraus hervor und warf
es auf den Tisch. Es war ein Polizeifoto, die Aufnahme eines Fundorts. Ein menschlicher Körper war zu erkennen, vollkommen
entstellt. Das Fleisch war grau und aufgedunsen, die Haare hingen klatschnass ins Gesicht. Es war eine Wasserleiche, fotografiert
am Ufer eines Flusses.
»Das ist der Junge«, hörte Flo Riemschneider sagen. »Er hat die Stromstöße nicht überlebt. Der Kollege von der Rechtsmedizin
schätzt, dass Mosbachs Leute ihn zwei Tage lang in ihrer Gewalt hatten.«
Er warf Florian weitere Fotos hin. Aufnahmen derselben Leiche aus anderen Winkeln, Großaufnahmen von Brandwunden an der Brust
und im Gesicht. Die Bilder verschwammen vor Flos Augen. Dumpf spürte er, wie plötzlich nichts mehr so war wie vorher,
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