Davids letzter Film
Fernsehturm zugelaufen. Noch hatten die meisten Kneipen geöffnet.
Er würde eine nach der anderen abklappern, in jeder Pinte ein Bier, hatte er beschlossen. Das hatte er auch früher mit David
so gemacht. Und mit dem Lächeln, das die Erinnerung auf seine Lippen gebracht hatte, hatte er die Tür zur nächstbesten Bar
aufgestoßen. Es war die mit den zu jungen Leuten gewesen. Aber das hatte ihn jetzt nicht mehr gestört. Es war eh alles egal.
Auf seiner fünften oder sechsten Station war er hängengeblieben und hatte angefangen, Schnäpse zu trinken. Er war mit einer
Frau an der Theke ins Gespräch gekommen, und sie hatten sich sogar ganz gut verstanden. Aber zu diesem Zeitpunkt war er bereits
viel zu betrunken gewesen, um noch etwas daraus zu machen. So hatte er sie allein im Taxi davonfahren lassen, nachdem sie
die Kneipe verlassen hatten, und beschlossen, noch ein wenig frische Luft zu schnappen.
Am Ufer der Spree, die ein paar Häuserblocks weiter an der Museumsinsel vorbeifloss, hatte er sich auf eine Bank gesetzt,
den Kopf in den Nacken gelegt und hinauf in den Himmel gestarrt. Keine Wolke war zu sehen gewesen, weit und breit nur der
Nachthimmel. Dann hatte er ein Flugzeug weit oben im schwarzen Gewölbe blinken gesehen – und schließlich hatte ihn der Schlaf
übermannt.
Florian wischte sich den eiskalten Schweiß aus dem Gesicht, der sich anfühlte, als wäre er wirklich mit dem Blut und den Gewebespritzern
vermengt, von denen er eben geträumt hatte.
Er saß noch immer auf der Bank – stand jetzt aber ruckartig auf. Sein Rücken schmerzte. Er musste sich zusammenreißen, um
nicht mit den Zähnen zu klappern. Er war mit den Kräften ziemlich am Ende.
Schwerfällig ging er die paar Schritte zum Geländer, mit dem das Ufer der Spree hier gesichert war, und starrte in den schwarz
dahinfließenden Strom.
Der Morgen graute, als er im Savoy ankam. Schnurstracks ging er auf sein Zimmer, schälte sich aus den schmutzigen Kleidern
und stellte sich unter die Dusche. Langsam kehrten seine Lebensgeister zurück. Ihm wurde klar, dass er keine Zeit mehr verlieren
wollte. Nur weg hier, bevor er es sich noch mal anders überlegte – bevor er ernstlich krank wurde. Er trat aus der Dusche,
rubbelte sich ab und rief von seinem Zimmertelefon aus die Hotelrezeption an. Sie sollten für ihn den nächsten Flug nach Madrid
buchen.
Als er sich die Schuhe zuband, kam der Rückruf von der Rezeption. Der nächste Flieger ging in knapp zwei Stunden. Flo musste
sich beeilen.
39
»Herr Baumgartner!«
Riemschneider gab seinem Kollegen ein Zeichen. Es war der Beamte, der Florian bei der Galerie niedergeschlagen hatte. Mit
ein paar Schritten schnitt der Mann Flo den Weg ab, während Riemschneider geradeaus auf ihn zusteuerte.
Florian war noch keine zehn Minuten in Tegel. Er hatte sich an einem Monitor seinen Flug herausgesucht, festgestellt, dass
er noch ein wenig Zeit hatte, nach einem Café Ausschau gehalten, von dem aus er die Anzeigetafel der Abflüge im Auge behalten
konnte, und sich einen Espresso geholt. Gerade als er mit dem Tässchen in der Hand an einem der Tische Platz nehmen wollte,
hatte er Riemschneider zusammen mit seinem Kollegen in die Haupthalle eilen sehen. Für einen Augenblick hatte er überlegt,
ob er versuchen sollte, sich zu verstecken. Aber da hatte Riemschneider ihn schon erspäht.
»Sie wollen Berlin wieder verlassen?« Die blaugrauen Augen des Beamten waren auf sein Gesicht gerichtet.
Florian stellte die Tasse, die er in der Hand hielt, auf den Tisch, setzte sich aber nicht. »Was dagegen?«
Er wollte nur noch weg. Dass Riemschneider ihn abgefangen hatte, machte ihn wütend. Warum ließen sieihn nicht endlich in Ruhe? In wenigen Minuten wäre er im Flugzeug gewesen und endlich raus aus der Stadt. Jetzt aber steckte
er wieder fest.
»Ich bin froh, Sie noch anzutreffen, Herr Baumgartner«, sagte Riemschneider und warf einen Blick auf den Alukoffer, den Flo
hinter sich herzog.
»Wie haben Sie mich denn gefunden?«
»Ihr Hotel hat uns weitergeholfen. Ich würde Ihnen gern etwas zeigen, wäre das möglich?«
»Ich fürchte, dafür reicht die Zeit jetzt nicht mehr.« Flo sah auf seine Uhr. »Ich muss in wenigen Minuten einchecken«.
»Es dauert nicht lange, kommen Sie.«
Riemschneider griff ihn locker am Arm – und Flo ahnte, dass er da nicht mehr rauskam.
Sie brachten ihn in ein Hinterzimmer der Bundespolizei, die in Tegel für die
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