Davina
sicher, es wird alles gut gehen. Trink jetzt dein Glas aus, und dann essen wir zu Mittag. Ich habe Mrs. Dixon gebeten, rüberzukommen und am Wochenende für uns zu kochen. Ich möchte nicht die ganze Zeit in der Küche stehen.«
Nach dem Essen ging sie mit dem Bastkorb in den Garten und schnitt Blumen für die Schlafzimmer der Mädchen. Lange Forsythienzweige ragten aus den Osterglocken heraus, sie verstand es mit Blumen umzugehen, und hatte sie stets hübsch arrangiert. Auch als sie allein war, als Harry sich im Krieg auf hoher See befand, hatte Betty Graham stets Blumen in ihren Vasen, als rechnete sie damit, er könne jeden Augenblick zur Tür hereinkommen. Ihr einziger Sohn war lange nach Kriegsende bei den Marinefliegern ums Leben gekommen. Er war damals erst zwanzig. Danach wurde sie plötzlich schnell alt. Sie hatten sich um ihn gegrämt, Harry und sie. Während sie in Davinas Schlafzimmer in einer große Schale Forsythien anordnete, fiel Betty Graham ein, wie unterschiedlich ihre beiden Töchter auf den Tod des Bruders reagiert hatten. Davina war vierundzwanzig und Charley siebzehn. Ein Kind der Liebe aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, als sie und Harry ihr gemeinsames Leben wiederaufnahmen und nicht damit gerechnet hatten, daß sie mit zweiundvierzig noch einmal schwanger werden würde – Charley hatte geweint und sich an ihre Eltern geklammert. Sie waren zu dritt ein Bild der Trauer gewesen, sie und Harry und ihre jüngste Tochter. Davina hatte wochenlang bleich ausgesehen, aber sie hatte keine Träne vergossen. Sie hatte nie ihre Gefühle gezeigt, das war auch der Grund dafür, daß es ihr und Harry schwer fiel, ihr die gleiche Liebe entgegenzubringen wie Charlotte. Sie lächelte still vor sich hin und mußte daran denken, wie Charlotte als kleines Mädchen ihren Namen nicht hatte aussprechen können. Sie hatte ihn einfach abgekürzt, und so war sie jetzt Charley für alle, die sie kannten. Was für ein Jammer, daß Davina so ganz anders war. Und dann, als Richard ihr einen Heiratsantrag machte und sie endlich glücklich und gelöst schien – das war für sie alle eine schrecklich schwierige Zeit gewesen. Sie schob die Erinnerungen beiseite und trug eine Vase mit Blumen in das Zimmer ihrer jüngeren Tochter.
Es würde schön sein, die beiden über das Wochenende da zu haben. Hoffentlich würde der Pole dazu passen …
2
Brigadier White hatte einen Widerwillen vor Besuchen beim Innenminister. Er vermied sie, wann immer er konnte, und schickte lieber einen Vertreter, der für ihn den Lagebericht abgab. Er hielt den Träger des höchsten Amtes im Innenministerium für einen intellektuellen Liberalen, der ihn und seinen Bereich missbilligte und ihn im Stich ließ, wenn er Unterstützung am nötigsten brauchte. Nach Whites Ansicht war er zu weich. Er war für die Abschaffung der Todesstrafe, was der Brigadier bei der Zunahme von Verbrechen aller Art, besonders Gewaltverbrechen, Mord, bewaffneten Raubüberfällen und Terrorakten, lächerlich fand. White hielt die Todesstrafe als Abschreckungsmittel für notwendig. Außerdem war es viel billiger, einen Menschen zu hängen, anstatt ihn zwanzig Jahre lang auf Kosten des Steuerzahlers zu ernähren. Sein Sicherheitsdienst hätte gern wenigstens ein Zehntel der Geldmittel gehabt, die es kostete, Bombenleger und Kindsmörder in besonders sicheren Haftanstalten hinter Gitter zu halten.
Diesmal beschloß er, den Innenminister persönlich aufzusuchen, weil vom Foreign Office plötzlich zahlreiche beunruhigende Noten über sowjetische Proteste wegen Englands Unvermögen eingegangen waren, Sasonow oder wenigstens dessen Leiche zu finden. Schließlich wurde behauptet, er habe Selbstmord begangen. Natürlich war es niemandem ernst damit. Das KGB wußte nur zu gut, wo sich Sasonow befand. Es wollte nur Unruhe stiften und White Schwierigkeiten bereiten. Dem Innenminister gefielen Whites Geheimoperationen gar nicht. Er wollte nicht, daß im Interesse des Sicherheitsdienstes Gesetze gebrochen wurden. Seine Besessenheit für die Wahrung der persönlichen Freiheit war so stark, daß White bei einigen seiner fragwürdigeren Operationen sehr sorgfältig zu Werke gehen mußte. Es gab vieles, was der Innenminister nicht wußte, aber die Person Sasonow hatte White vor ihm nicht geheim halten können. Die Flucht einer so wichtigen Persönlichkeit war auch für den Premierminister von Interesse, der vom Innenminister Aufklärung über den Vorgang verlangte, so daß dieser
Weitere Kostenlose Bücher