Davina
bezeichnet hatte, und das hatte ihm fast die Selbstbeherrschung geraubt. Der Brigadier ging in einer selbstherrlichen Art an die Probleme heran – eine Einstellung, die der Innenminister nicht nur abstoßend, sondern auch gefährlich fand. Er ließ sich in seinen Ledersessel nieder und richtete sich auf die Defensive ein.
»Können wir gleich auf den Anlass Ihres Besuches zu sprechen kommen, Brigadier? Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich habe einen anstrengenden Vormittag vor mir, und ein Dutzend Leute haben sich bei mir angemeldet.«
»Ich bin dankbar, daß Sie Zeit für mich gefunden haben, Herr Minister«, erwiderte James White, »es geht um den sowjetischen Überläufer Iwan Sasonow.«
»Ach? Was ist mit ihm passiert?«
»Passiert – nichts. Er ist bei ausgezeichneter Gesundheit und genießt den Aufenthalt in einer unserer Unterkünfte auf dem Lande. Ich versichere Ihnen, er ist unser Gast, kein Gefangener.« Er ließ sich zu einem leicht hämischen Lächeln herbei. »Er ist aus freien Stücken zu uns gekommen.«
»Das haben Sie mir bereits mitgeteilt«, sagte er brüsk. »Vor etwa acht Monaten, wenn ich mich recht erinnere. Ich habe inzwischen einige Zwischenberichte zur Weitergabe an den Premierminister erhalten. Aber bis jetzt scheint er lediglich Zeit gewinnen zu wollen. Sie wollten mich damals davon überzeugen, er sei seit Perekow der bedeutendste sowjetische Beamte, der in den Westen übergelaufen ist. Sonst hätte es sich wohl kaum gelohnt, die Sowjets so vor den Kopf zu stoßen, wie wir es getan haben. Ist es nicht allmählich an der Zeit, daß wir auch Ergebnisse bekommen?«
Der Brigadier zeigte noch immer sein halbes Lächeln, aber aus seinem Blick sprach einige Sekunden lang seine Antipathie – lange genug, daß auch sein Gegenüber sie sah. Er bedachte ihn im stillen mit einem häßlichen Schimpfwort und antwortete dann mit aufreizender Geduld, als erklärte er einem ausgemachten Dummkopf etwas ganz Einfaches.
»Sasonow ist sogar noch wichtiger als Perekow. Er war im sowjetischen Außenministerium Koordinator für die Abteilung, die für den Nahen Osten zuständig ist. Er gehörte natürlich zum KGB. Seit dem Sturz des Schahs hat sich die sowjetische Aktivität in diesem Teil der Welt, was Agenteneinsatz und Geldmittel angeht, um fünfzig Prozent erhöht. Ziel sind die Ölscheichtümer. Und Sasonow kennt bis ins Detail die Operationen, die gegen Kuwait, Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate geplant sind.«
»Warum hat er es uns dann nicht gesagt?«
»Weil er sich die bestmögliche Verhandlungsbasis sichern will, bevor er eine so wichtige Karte ausspielt. Der Übergang ins andere Lager ist nicht so leicht zu verkraften. Er verlangt sehr viel mehr von ihm, als nur in ein Taxi zu steigen und sich als Asylbewerber bei Scotland Yard zu melden. Die psychologische Umstellung ist gewaltig, es dauert Monate, bevor ein Mann wie Sasonow sich mit dem Verrat an seinem eigenen Land abfinden kann. Ich meine den wirklichen Verrat. Bisher hat er uns lediglich einige Brocken serviert – genug, um unseren Appetit anzuregen, gewissermaßen. Er akklimatisiert sich zur Zeit, wie wir es nennen. Er will mit sich selbst und dem Entschluß, den er gefaßt hat, ins reine kommen. Man kann diesen Prozess nicht beschleunigen. Ich bin sicher, daß Sie der letzte wären, gewaltsame Methoden anzuwenden, um zu diesen Informationen zu gelangen.« Er sah sein Gegenüber kühl und gelassen an.
Der Innenminister sagte eisig: »Das würde ich niemals billigen. Unter gar keinen Umständen. Ich hoffe, daß dies absolut klar ist.«
»Selbstverständlich, selbstverständlich«, meinte White abwehrend. »Abgesehen davon, daß es nicht nur dumm, sondern geradezu kriminell wäre. Die Informationen, die wir zu gegebener Zeit von Sasonow erhalten werden – und wir werden sie erhalten, dessen bin ich sicher –, müssen von ihm selbst interpretiert werden, und das dauert eine gewisse Zeit. Hierin liegt sein eigentlicher Wert für uns. Er kennt die Denkweise unserer Gegner, er kann ihre mutmaßlichen Reaktionen auf bestimmte, sich ständig wandelnde Situationen ermessen. Darin lag auch Philbys Bedeutung für die Sowjets. Er kannte seine Leute zu Hause, weil er jahrelang einer von ihnen gewesen war. Er analysiert auch jetzt noch das nachrichtendienstliche Verhalten des Westens für sie.«
»Ja. Das weiß ich natürlich. Aber ich kann dem Premierminister also jetzt wenigstens sagen, daß Sie glauben,
Weitere Kostenlose Bücher