Davina
von zu Hause zugebracht hatte, nie durch gelegentliche Liebeleien getrübt worden war. Auch im Ruhestand führte er ein aktives Leben, widmete sich wohltätigen Aufgaben und der Verwaltung des Dorfes, in dem sie lebten. Er saß im Kirchenrat, fungierte als Vorleser in der anglikanischen Kirche, war Präsident des Ortsvereins der British Legion und verbrachte jede Woche zwei Tage in London, wo er für die Marine-Abteilung der Gesellschaft für gehirngeschädigte ehemalige Soldaten tätig war. Er besaß abgesehen von seiner Pension ein kleines Privatvermögen und war stolz auf die Tatsache, daß er und seine Frau in der Lage waren, Haus und Garten allein in Ordnung zu halten. Seine Frau stand auf der Terrasse außerhalb des Wohnzimmers und hatte die Hand zum Schutz vor dem grellen Sonnenlicht über die Augen gelegt. Sie war größer als er und sehr schlank. Sie mußte einmal sehr schön gewesen sein – sie hatte hübsche graue Augen und klare Züge. Ihr Gesicht war von vielen winzigen Linien durchzogen, und ihre blonden Haare waren schon fast weiß. Sie stand noch immer so sehr unter dem Eindruck des überraschenden Telefonanrufs ihrer Tochter, daß sie den Inhalt wiederholte: »Davina kommt her … mit einem Mann.«
»Ach, wirklich?« sagte Captain Graham. »Das ist ihr aber sehr spät eingefallen, findest du nicht auch?«
»Nein, Liebling – nicht viel später als Charley. Sie hat gestern abend angerufen.«
»Ja, stimmt, du hast recht.« Er trat auf sie zu und legte einen Augenblick den Arm um sie. »Ich freue mich wirklich darauf, sie wieder zu sehen. Sie ist so unterhaltsam … ich bin gespannt, was sie im Schilde führt, die kleine Hexe.«
»Das weiß der Himmel«, sagte seine Frau. »Wer ist eigentlich dieser Mann, den Davina mitbringt? Sie erwähnte, er sei ein Pole.«
»Ein Pole – was macht sie, um alles in der Welt, mit einem Polen? Und warum muß sie ihn ausgerechnet hierher bringen? Um welche Zeit, hat Charley gesagt, daß sie kommt?«
»Rechtzeitig zum Cocktail«, sagte Betty Graham. Sie gingen gemeinsam ins Haus zurück.
»Es ist sehr warm draußen«, bemerkte er. »Wir werden einen schönen Sommer bekommen. Alles fängt vorzeitig zu blühen an. Hoffentlich gibt es nicht noch einen strengen Nachtfrost. Wir verlieren eine Menge Setzlinge, wenn es jetzt noch einmal friert. Ich hätte jetzt nichts gegen einen Gin-Tonic. Wir haben doch vor dem Lunch noch ein bißchen Zeit?«
Seine Frau sah ihn lächelnd an. »Da ich selber koche, haben wir natürlich Zeit. Ich hole etwas Eis.«
Später, als sie ihre Drinks ausgetrunken hatten, sagte Betty Graham in sanftem Ton: »Harry, mein Lieber, versprich mir, daß du nett zu Davina sein wirst.«
Er zog die Augenbrauen hoch und schien schmerzlich überrascht. »Ich bin immer nett zu ihr. Warum sollte ich es denn nicht sein?«
»Weil du Charley vorziehst«, behauptete seine Frau.
»Aber ich lasse es mir nicht anmerken«, erklärte er, »ich finde Davina nur ziemlich schwierig.«
»Sie hat uns nie Ärger gemacht«, meinte seine Frau. »Es war sicher nicht leicht für sie, Charleys Schwester zu sein.«
»Ja, gewiß, aber sie hat sich auch nie Mühe gegeben. Und denk nur an die Aufregung, die sie veranstaltet hat, als Richard sich davonmachte. Ist über ein Jahr nicht mehr zu uns gekommen. Wer ist überhaupt dieser Kerl, den sie mitbringt – erzähl mir bloß nicht, sie will sich mit einem Polen einlassen …«
»Wir müssen sehr nett zu ihm sein«, sagte Betty bestimmt.
»Es wäre großartig, wenn sie heiraten und eine Familie gründen würde. Ich wünschte, sie wäre nicht so sehr in diese langweilige Tätigkeit im Ministerium eingespannt. Diese berufstätigen Mädchen heiraten anscheinend nie.«
Er lachte sie spitzbübisch an. »Man sollte meinen, daß Charley dir schon genügend Ehekandidaten präsentiert hat.«
»Du bist ein hoffnungsloser Fall«, sagte seine Frau, »du würdest Charley alles verzeihen.«
»Ich finde, es wird Zeit, daß Davina ihr auch verzeiht«, klagte er. »Schließlich war Richard keine gute Partie. Vielleicht ist es ganz gut, daß sie jetzt beide zusammen herkommen. Hast du ihr gesagt, daß Charley auch kommt?«
»Ja, habe ich«, sagte Betty Graham, »sie meinte, sie hätte nichts dagegen. Im Gegenteil, sie freue sich, Charley wieder zu sehen.«
»Dann wollen wir hoffen, daß alles gut geht. Ich will mir das Wochenende nicht verderben lassen. Dazu kommen sie nicht oft genug her.«
»Nein«, sagte sie. »Ich bin
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