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Davina

Titel: Davina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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herumzulungern. Du wirst dich nach dem Mittagessen besser fühlen.«
    Für die Rückfahrt ins Hotel nahmen sie den Autobus. In der Halle entschuldigte sie sich.
    »Ich kann jetzt einfach nichts essen«, sagte sie. »Ich gehe hinauf und lege mich etwas hin. Der Schlaf wird mir gut tun.«
    Die anderen begaben sich in den Speisesaal, und sie fuhr mit dem Lift zu ihrem im ersten Stock gelegenen Zimmer hinauf. Sie wusch sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser und zog ihr verschwitztes Kleid aus. Sie setzte sich auf den Bettrand und zündete sich eine Zigarette an. Ihre Hand war ruhiger geworden.
    Sie mußte sich alles sorgfältig und mit kühlem Kopf überlegen. Sie mußte alle Fakten berücksichtigen, so hatte man sie ausgebildet. Nur so konnte man zu einer klaren Lagebeurteilung gelangen. Vorhin hatte sie beinahe hysterisch reagiert, weil die Verdachtsmomente wie ein Geschoßhagel von allen Seiten auf sie einstürmten. Wenn diese unbedachte Bemerkung fundiert war, dann sprach Harrington von der anderen Seite, als er ›sie‹ sagte. Daß er Spencer-Barr des Verrats bezichtigte und gleichzeitig die Warnung des Russen vor der eigentlichen Gefahr unterdrückt hatte, bestätigte nur ihre Ansicht. Sie schloß die Augen und dachte scharf nach. Waren ihre Begegnungen mit Harrington in den vielen Monaten in London wirklich rein zufällig zustande gekommen? Hatte er absichtlich ihr Mitgefühl erregen wollen, und welchen Zweck hatten seine im Scherz geäußerten Fragen über Iwan Sasonow tatsächlich gehabt? Paßte nicht seine Abberufung aus New York wegen seiner bekannt gewordenen Trinkleidenschaft genau in dieses Bild? Das Ganze setzte sich plötzlich zu einem erschreckenden Mosaik zusammen, wenn sie sich an ihre Begegnungen erinnerte, die zum Teil rein zufällig, zum Teil aber auch von ihm arrangiert worden waren. Er war nervös und unzuverlässig geworden – und das nach zwanzig Jahren aktiver Dienstzeit, in der er sich einen guten Ruf erworben hatte. Er hatte sich nach Sasonows Flucht abberufen lassen. Und er hatte sich an sie herangemacht, weil er wußte, daß sie die Betreuerin des Russen war.
    So sahen die Fakten und die Indizienbeweise aus. Sie sprachen das Urteil über ihn, auch ohne das instinktive Wissen um seinen Verrat. Alle diese Beweise hatten sie fast aus dem Gleichgewicht gebracht. In ihren Augen war er ein Lügner. Sie hatte mitangesehen, wie er mit den beiden jungen Russen eine Show abzog und so tat, als wolle er ihnen helfen, und dabei seine Gegnerschaft zu Poliakow verschleierte, als der junge Mann überraschend in Erscheinung trat. Seine Fürsorge für sie war ebenfalls gespielt; er war wie ein wildes Tier auf dem Sprung und auf alles vorbereitet. Aus dem Verdacht war Gewissheit geworden: er war der Gegner, war immer der Gegner gewesen. Er war der Doppelagent, der den Attentäter mit der Brandbombe nach Halldale Manor entsandt hatte. Sasonow hatte sie gewarnt, daß ein solcher Mann existierte … ein Verräter innerhalb des Dienstes. Und was das Schlimmste war – sie hatte ihn in den Fluchtplan eingeweiht, und der Brigadier hatte sich ahnungslos damit einverstanden erklärt, daß er mit ihr in die Sowjetunion fahren sollte. Sie drückte die Zigarette aus und begann, seine Kleidungsstücke und seine sonstigen Sachen zu durchsuchen. Zu dem Kurzlehrgang an der so genannten Sprachenschule hatte auch gehört, wo man nach Mikrofonen, Mikrofilmen und Waffen zu suchen habe. Derlei Dinge waren oft in Zahnpastatuben, Bürsten, Kugelschreibern und Bleistiften, Koffern und Schuhen mit hohlen Absätzen getarnt. Sie ging sehr schnell zu Werke und fand nichts. Sie stand mitten im Zimmer und schaute sich um. Er hatte keine Waffe bei sich, nicht einmal einen winzigen Signalgeber, der sich in ein Feuerzeug einbauen ließ und eine Reichweite von über einhundert Kilometern besaß. Hatte sie sich vielleicht doch geirrt – basierte ihr Verdacht doch nur auf Hysterie? Und dann sah sie auf der Kommode die teure Handtasche liegen, die er ihr in Westberlin gekauft hatte.
    Major Tatitschew wußte nicht, was er tun sollte. General Wolkow war nicht in seine Datscha gefahren, und aus seiner Moskauer Wohnung kam keine Antwort. Er hatte weder seiner Sekretärin noch Tatitschew Bescheid gesagt, daß er etwas anderes vorhabe. Die Eilmeldung war im Panzerschrank eingeschlossen und nicht beantwortet. Um die Mittagszeit entschloß sich Tatitschew, selbst in der Wohnung nachzusehen. Er nahm einen Mann mit, der mit Dietrichen umzugehen

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